Interessantes zu Theoretischer Physik

Relativitätstheorie, Zwillings-Paradoxon

Das Zwillings-Paradoxon

Ein sehr gutes Beispiel dafür, dass alles, was man als paradox bezeichnet, doch nur noch nicht wirklich Verstandenes darstellt, ist das Zwillings-Paradoxon der Physik — der Prüfstein zum Verständnis der Speziellen und der Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins. Es besagt:


Der Physiker, der mir den Grund für diese Tatsachen als erster plausibel machen konnte, ist Brian Greene (Notiz 7 auf Seite 505 seines Buches The Fabric of the Cosmos).

Seine Erklärung (durch mich in eigenen Worten wiederholt) ist diese:



Damit ist nun klar, warum wir bewegte Uhren langsamer gehen sehen als nicht bewegte und warum physikalische Vorgänge in bewegten Körpern langsamer ablaufen als in unbewegten [natürlich nur relativ aus Sicht eben der Körper, die sich selbst als unbewegt sehen — das genau ist das Paradoxe daran. Die Paradoxie löst sich erst auf, wenn man berücksichtigt, das jeder, der zunächst den einen Körper als unbe­wegt sieht, dann aber den anderen, durch diesen Wechsel seines gedanklichen Stand­punkts von einem Koordinatensystem in ein anderes über­geht: Die Zahlen, die seine Wahrnehmung beschreiben, sind abhängig vom Koordinatensystem, auf das sie sich beziehen].

Zudem wird klar: Zerfällt ein Körper in zwei Teile, so wird deren Zeitbegriff um so unterschiedlicher sein, je weiter und schneller sie sich schon von einander weg bewegt haben.


HINWEIS: Wer ganz genau sein möchte, muss statt der Speziellen Relativitätstheorie die Allgemeine anwenden. Sie ergänzt: Je größer die Summe aller Gravita­tionskräfte ist, die auf einen Körper wirken, desto langsamer bewegt er sich durch die Zeit. In 2010 konnten Experimente am NIST diesen Zusammen­hang bestätigen.

Siehe [B] für ein komplett durchgerechnetes Beispiel und [GPS] für eine wichtige praktische Anwendung.

Man beachte auch: Wo ein Körper beschleunigt wird, entsteht eine auf ihn wirkende Kraft (die Trägheits- bzw. Fliehkraft), die sich in nichts von Gravitationskraft unterscheidet (Raumkrümmung im Sinne der Allgemeinen Rela­tivi­täts­theorie).


_______________________________________

Paradoxie und Denkfehler im Zwillings-Paradoxon:

Sei A der Zwillingsbruder, der auf der Erde bleibt, während sein Bruder B den Ausflug ins All macht. Ganz gleich, ob B von der Erde weg fliegt oder (zwecks Rückkehr) auf die Erde zufliegt: solange er sein Raumschiff nicht beschleunigt oder abbremst gilt nach Einsteins Spezieller Relativitätstheorie tatsächlich, dass

B aus Sicht von A weniger schnell altert

obgleich doch auch

A aus Sicht von B weniger schnell altert (und zwar im selben Ausmaß).

Wieso also kann, wenn die beiden sich wieder treffen, A schon weit mehr gealtert sein als B?


Wie ich an anderer Stelle schon erklärt habe, ist Paradoxie stets auf einen oder mehrere Denkfehler zurückzuführen. Was genau sind in diesem Fall diese Fehler?

Antwort: Spezielle Relativitätstheorie, so dachte ich lange, sei nur anwendbar auf nicht beschleunigte Bewegung. Da nun aber B — um zur Erde zurückzu­kehren — sein Raumschiff entweder abbremsen, wenden, und dann neu beschleunigen (oder es in einem weitem Bogen zurück zur Erde steuern) muss, treten Trägheitskräfte bzw. Fliehkräfte auf. Sie führen zu einer Verzerrung der Raumzeit in der Umgebung des Raumschiffes. Damit kann B keineswegs mehr ebenso argumentieren wie A.

Tatsächlich liefert die SRT aber selbst noch für beschleunigte Bewegungen korrekte Antworten. Der Grund hierfür (siehe #84): Die Alterung jedes Zwillings in Eigenzeit entspricht seinem raumzeitlichen Weg zwischen den beiden Ereignissen und ist damit Lorentz-invariant.

Es kann somit das Zwillingsparadoxon per SRT nicht nur im Ruhesystem eines der Zwillinge durchgerechnet werden, sondern sogar in jedem beliebigen Intertialsystem. Beschleunigte Objekte sind für die SRT kein Problem. Kurz gesagt: Die weit komplexeren Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie benötigt man erst, wenn der reisende Zwilling sich durch inhomogene Gravitationsfelder bewegt.

Ergebnis solcher Rechnungen wird immer sein, dass, wenn die Zwillinge sich wieder treffen, derjenige höheres Alter haben wird, der während ihrer Trennung auf seinem Weg durch die Raumzeit stärker beschleunigt war (hier Details dazu).

Man könnte sich jetzt fragen: Was bedeutet es denn nun eigentlich, dass nach Rückkehr von B die Zwillinge jetzt direkt neben einander stehen, um Jahre verschiedenes Alter haben, aber dennoch denselben Geburtstag?

Mir scheint, es gibt nur eine naheliegende Antwort auf diese Frage: Zeit ist nur ein gedankliches Konzept, wirklich existent ist nur der Prozess, der den Kosmos von einem Zustand in einen nächsten führt. Damit komme ich zum selben Schluss wie schon Carlo Rovelli (einer der Forscher, die am aktivsten in Richtung Schleifen-Quanten-Gravitation denken).

Nach [Allgemeiner Relativitätstheorie] gilt auf jeden Fall: Sind Objekte A und B an zwei unterschiedlichen Ereignissen beteiligt, so werden sie den zeitlichen Abstand dieser Ereignisse nur dann gleich beurteilen, wenn sie zwischen diesen Ereignissen (in der Summe wenigstens) exakt gleicher Beschleunigung unterworfen waren.


Merke:

Beschleunigte Objekte sparen sich Zeit

und das unabhängig von der Richtung der Beschleunigung.

Sie selbst bemerken das erst, wenn sie mit einem der anderen Objekte wieder zusammentreffen
( oder es beobachten können ).



ABER: In Abhängigkeit davon,
ob zwei (z.B. gleichförmig) bewegte Beobachter sich aufeinander zu oder voneinander weg bewegen,
haben sie den Eindruck, die Zeit des jeweils anderen würde schneller (bzw. langsamer) vergehen.

Beide Effekte addieren sich zum Eindruck, den Beobachter dann insgesamt haben.


Siehe auch:



Den Sachverhalt richtig zu verstehen (und auszudrücken) haben mir geholfen:

  • Das sog. Clock Postulate (der SRT). Es ist nicht beweisbar, aber bis zur Genauigkeit von 10-18 durch Experimente bestätigt. Könnte dieses Postulat die Ursache dafür sein, dass jüngere Wissen­schaftler — wie etwa Bernd Sonne und Reinhard Weiß — die SRT auch auf beschleunigte Bewe­gung anzu­wenden wagen?
     
  • Joachim Schulz argumentiert, dass der Alters­unterschied, den die Zwillinge schließlich an sich feststellen, nicht auf Beschleunigung, sondern generell auf unterschiedliche Bewegung zurückzu­führen sei.

    Dies widerspricht einer Rechnung von Bernd Sonne und Reinhard Weiß auf den Seiten 111-129 ihres Buches Einsteins Theorien: Spezielle und Allgemeine Rela­tivi­tätstheorie für interessierte Einstei­ger und zur Wiederholung (Springer, 2013). Sie nämlich zeigt, dass der Alters­unter­schied tatsächlich NUR während der Be­schleunigungsphasen entsteht.

    Claus Kiefer, der seit 2001 Professor für Theoretische Physik in Köln ist, weist auf Seite 37 seines Buches Der Quantenkosmos (2008) ebenfalls explizit darauf hin, dass allein die unterschiedliche Be­schleu­nigung den schließlich festgestellten Alterunterschied der Zwillinge bewirkt.

    Nebenbei: Sonne und Weiß rechnen das Beispiel durch erst mit der SRT, dann mit der ART — mit gleichem Ergebnis.


    Klärend ist eine Bemerkung von Chrys, die uns zeigt:

    Dass die Uhren der Zwillinge, wenn sie sich wieder treffen, unterschiedliche Zeit zeigen, liegt daran, dass ihre Weltlinie zwischen Abflug und Rückkehr des Reisenden unter­schiedliche Länge bekam.

    Woran aber liegt das? Es liegt an unterschiedlicher Beschleunigung:


    Wäre eine der beiden Weltlinien zwar nicht die gleiche, aber z.B. Spiegelbild der anderen, so ergäbe sich kein Alterunterschied.

    Man kann sich das klar machen anhand folgenden Szenarios:

    Nehmen wir an, wir hätten irgendwo im All einen exakt würfelförmigen Astereoiden, und nehmen wir weiter an, genau in der Mitte einer der Seiten dieses Würfels parken — direkt nebeneinander, aber in umgekehrter Richtung — zwei Raumschiffe, die ferngesteuert werden durch ein und das­selbe Signal eines Senders, der unverrückbar im Mittelpunkt des würfelförmigen Astereoiden sitzt. Sein Signal startet die beiden Raumschiffe und lässt sie einen aus ihrer jeweiligen Sicht nach rechts gekrümmten Kreis in genau der Ebene zu fliegen, die durch die Seitenfläche des Wür­fels, auf der sie geparkt waren, gegeben ist.

    Die beiden Kreise, entlang derer sie sich bewegen — ihr Radius könnte Lichtjahre groß sein — liegen spiegelbildlich zueinander in derselben Ebene und stellen unterschiedliche, aber gleich lange Wege durch den Raum dar.

    Nehmen wir nun weiter an, dass in beiden Raumschiffen gleich gebaute Uhren existieren, die nach Ablauf jeder Sekunde ein Lichtsignal aussenden, welches im jeweils anderen Raumschiff empfan­gen wird. Solange der Abstand der Raumschiffe sich vergrößert, wird dieser Signale wegen jeder Pilot den Eindruck haben, die Zeit im jeweils anderen Raumschiff vergehe langsamer als auf der eigenen Uhr. Sobald ihr Abstand aber wieder schrumpft, werden beide Piloten den genau umge­kehr­ten Eindruck haben. Schuld daran ist die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit (und nur sie).

    Da die Weltlinien spiegelsymmetrisch zueinander verlaufen, also gleiche Länge haben, werden
    die Zwillinge gleich alt sein, wenn sie sich wieder treffen. Spiegelsymmetrisch aber wurden die beiden Weltlinien, weil beide Raumschiffe zu jedem Zeitpunkt exakt gleicher Beschleunigung unterworfen waren.

    Wir sehen: Wie groß ein eventuell entstehender Altersunterschied wird, bestimmt der Unterschied der Länge beider Weltlinien.

    Da sich für Weltlinien, die dasselbe Paar von Raumzeitpunkten miteinander verbinden, unter­schied­liche Länge aber nur bei unterschiedlicher Beschleunigung ergeben kann, bestimmt eben doch nur Beschleunigung, wieviel Eigen­zeit vergeht.


    Geschwindigkeit ist relativ zum Beobachter, kann also auf keinen Fall dafür verantwortlich sein, wie schnell Zwillinge altern.


    Ein noch viel einfacheres Argument:

    Geschwindigkeit an sich gibt es gar nicht. Es gibt stets nur Geschwindigkeit relativ zu einem gewählten Bezugs­system. Hieraus folgt: Hat man mehrere Beobachter, die sich relativ zu einander bewegen, so wird sich ein durch sie beobachtetes Objekt selten aus Sicht aller heraus gleich schnell bewegen. Schon dies zeigt, dass Geschwindigkeit nichts damit zu tun haben kann, wie schnell eine Uhr geht: Es ist nur so, dass man sie aus relativ zu einander bewegten Bezugs­systemen heraus verschieden schnell gehen sieht.

    Kurz: Geschwindigkeiten haben nur was damit zu tun, wie schnell — dem Urteil der Beobachter nach — einem beobachteten Objekt die Zeit vergeht.


    Andererseits gilt bei nicht gleichförmiger, d.h. beschleunigter Bewegung:

    Je stärker beschleunigt sich ein Objekt von einem Ereignis A zu einem Ereignis B bewegt, desto weniger wird es — in B angekommen — gealtert sein.

    Es hat dann sozusagen einen kürzeren Weg durch die Raumzeit genommen.

    Und tatsächlich: Hat man zwei identisch gebaute Atomuhren, die man senkrecht übereinander aufstellt (bei der Genauigkeit heute möglicher Messungen reicht schon einen Höhenunterschied von wenigen Zenti­me­tern), so wird — wenn man sie später wieder nebeneinander auf den Tisch stellt — auf der zunächst tiefer aufbewahrten Uhr etwas weniger Zeit vergangen sein als auf der anderen. Sie nämlich war dem Schwerpunkt des Gravitationsfeldes der Erde näher und war daher etwas stärker beschleunigt.


    Wichtig auch:

    Soweit Zeitdilatation einfach nur auf gleichförmige Relativbewegung zurückführbar ist, wird sie verschwunden sein, sobald Beobachter und beobachtetes Objekt sich wieder am gleichen Ort befinden.

    Ganz anders bei gravitativer Zeitdilatation: Wenn zunächst auf gleiche Zeit gestellte Uhren unter­schiedlich stark beschleunigt werden, zeigen sie hinterher auch dann nicht mehr gleiche Zeit an, wenn sie wieder direkt nebeneinander stehen (dann also wieder gleich stark beschleunigt durch die Raumzeit reisen und sich relativ zu ein­ander nicht mehr bewegen).



    Note: Zeitdilatation bei gleichförmiger Relativgeschwindigkeit ergibt sich aufgrund endlicher Licht­geschwindigkeit, ist also überhaupt nicht erstaunlich. Was zunächst aber wirklich erstaunt, ist die Tat­sache, dass bei unter­schiedlich stark beschleunigten Objekten aus Sicht Dritter selbst noch ihre typische mittlere Lebens­dauer davon abhängt, wie stark sie beschleunigt sind. Man denke an auf die Erde zukommende oder im Labor unterschiedlich stark beschleunigte Myonen. Selbst das also muss ein rein nur beobachtungstechnisch begründeter Effekt sein.

Zusammenfassend lässt sich feststellen:

Solange Zwillinge sich beschleunigungslos gegen einander bewegen, wird der Altersunterschied, den sie an sich feststellen, zurückzuführen auf die Tatsache, dass relativ zuein­ander bewegte Objekte von unterschiedlichen Zeitbegriffen ausgehen.

Erst wenn Zwillinge unterschiedlich starker Beschleunigung — bzw. unterschiedlich starker Gravitation — ausgesetzt sind, kommt ein Altersunterschied zustande, der auch dann noch gegeben sein wird, wenn sie sich wieder treffen und gegen einander NICHT mehr bewegt sind.

Das Verhältnis, in dem die Eigenzeit des reisenden Zwillings im Vergleich zur Eigenzeit seines ruhenden Bruders gedehnt ist, modifiziert sich vorzeichenrichtig ausschließlich während der Phasen seiner Reise, in der er sich beschleunigt fortbewegt (abzubremsen entspricht negativer Beschleunigung).

Ein umfassender Beweis für diese Aussage findet sich auf Seite Das Zwillingsparadoxon — nun ganz genau erklärt.



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