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ART, Relativitätstheorie, Natur der Zeit, Gödel

Zur Natur der Zeit der ART — was Gödel erkannte

Zu Einsteins 70. Geburtstag veröffentlichte sein Freund Kurt Gödel eine Arbeit (nur 6 Seiten), die zwei wichtige, aber kaum bekannte Erkenntnisse enthält:

Gödel fiel der (eigentlich ja offensichtliche) Widerspruch zwischen Einsteins Theorie und unserer Alltags­erfahrung auf:

Und so kam Gödel zur Frage:


Ist die Zeit als Dimension der Raumzeit wirklich das,

was wir intuitiv als Zeit begreifen?


Diese Frage zu entscheiden, versuchte Gödel, bis dahin nicht bekannte Lösungen von Einsteins Feld-gleichungen zu finden. Erstaunlicherweise wurde er schnell fündig: Er fand eine Schar von Lösungen — heute die Gödel- (oder R-) Universen genannt — in denen die Gegenwart zeitlich ausgedehnt sein kann, und das einfach deswegen, weil in diesen Universen kreisförmig in sich zurück führende Ketten sich gegenseitig bedingender Ereignisse existieren: zyklische Wege durch die Zeit der Raumzeit.

Interessant auch: Diese Wege sind keine kürzesten, d.h. sie sind nicht Abschnitte von Geodäten. Wer in einem Gödel-Universum Vergangenheit (im Sinne der Relativitätstheorie) aufsuchen möchte, muss sich beschleunigt bewegen.


Man sollte davon ausgehen, dass die Zeit, von der die ART spricht, tatsächlich nur die Qualität einer Raumdimension hat. Noch aber ist ungeklärt, ob sie die Zeit im Sinne unserer Alltagserfahrung nur zu grob modelliert oder ob nicht vielleicht doch beide schon ihrem Wesen nach kaum vergleichbar sind (siehe etwa [Zeh]).

Dies passt gut zur Tatsache, dass Zeit und Raum relativ sind, was Kip. S. Thorne ausdrückt wie folgt:

Wenn Sie und ich uns relativ zueinander bewegen,
muss das, was ich als Raum bezeichne, eine Mischung aus Ihrem Raum und Ihrer Zeit sein,
und das, was Sie Raum nennen, eine Mischung aus meinem Raum und meiner Zeit.


Wie Palle Yourgrau berichtet, wurden in Gödels Nachlass unveröffentlichte Schriften gefunden, in denen Gödel ganz klar die Meinung vertrat, dass die Zeit im Sinne der Relativitätstheorie auf keinen Fall die Zeit im intuitiven Sinne sein könne. Gödel soll 1949 wörtlich geschrieben haben: An entity correspond­ing in all essentials to the intuitive idea of time ... in relativity theory ... exists only in our imagination. [Palle Yourgrau: Gödel meets Einstein, Edition 1999, p. 37]

Auf jeden Fall lässt sich feststellen: Trotzdem die Zeit der ART rein rechnerisch nur eine Raumdimen­sion wie jede andere ist, kommt ihr in physikalischer Hinsicht ganz klar eine Sonderrolle zu: Für Licht näm­lich vergeht keine Zeit — es kennt diese Dimension einfach nicht. Aus mathematischer Sicht be­deutet das, dass Licht sich stets nur senkrecht zur Zeitachse ausbreitet (und jeder auf der Zeitachse senkrecht ste­hende 3-dimensionale Teilraum der 4-dimensionalen Raumzeit den kompletten Zustand des Raumes zu einem festen Zeitpunkt darstellt — lokal wenigstens, denn nur hinreichend lokal betrachtet ist die flache Raumzeit der SRT als Tangentenraum gute Approximation der gekrümmten Raumzeit der ART).

Gegeben die Tatsache, dass Einsteins Theorie keine Quantenfluktuation berücksichtigt, erscheint es ex­trem unwahrscheinlich, dass die Natur Welten kennt, in denen ein und dasselbe Geschehen sich immer und immer wieder bis aufs letzte Detail genau wiederholt. Und tatsächlich bedeutet eine Zeitschleife in einem R-Universum ja keineswegs, dass die Ereignisse auf dieser Weltlinie sich zyklisch wiederholen.

R-Universen mit Zeitreisen in Verbindung zu bringen — einem Begriff, den nur Science-Fiction-Literatur als wohldefiniert annimmt — macht deswegen wohl eher keinen Sinn.


Doch zurück zu Gödel. Sein Beitrag blieb lange Zeit unbeachtet aus mindestens zwei Gründen:

In 1992 hat Steven Hawking einen Vorschlag gemacht, die ART dahingehend abzuändern, dass in sich geschlossene Kausalketten unmöglich werden. Dieser Voschlag — bekannt als Chronology Protection Conjecture — stieß jedoch auf wenig Akzeptanz, da er wie Flickwerk anmutet. Er erinnert, seiner Natur nach, an die Epizyklen des Ptolemäus, die das geozentrische Weltbild retten sollten. Russel meinte, es sei ein Vor­schlag, der sämtliche Vorteile hätte, die ein Diebstahl gegenüber ehrlicher Arbeit hat.


Quelle: Kapitel 7 aus Palle Yourgrau: Gödel, Einstein und die Folgen – Vermächtnis einer ungewöhnlichen Freundschaft, Verlag C.H.Beck, 2005. Titel der Originalausgabe: A World without Time: The forgotten Legacy of Gödel and Einstein, see also this review.

NOTE: Yourgrau ist (wie Gödel selbst auch) der Meinung, Gödels Entdeckung hätte bewiesen, dass Zeit im Sinne unserer Alltags­erfahrung auf keinen Fall die Zeit im Sinne der ART sein kann. Doch selbst wenn beide sich irren sollten, wäre da immer noch die Tatsache, dass obgleich die ART auch für Welten gilt, in denen es geschlossene Weltlinien gibt, dies noch lange nicht bedeuten muss, dass auch das von uns bewohnte Universum solche kennt. Kennt es aber keine, kann natürlich auch unsere Alltagserfahrung keine kennen.

Was unsere Umgangssprache unter Vergangenheit versteht, ist ein Zustand, der nicht mehr existiert — und schon allein deswegen ganz sicher nicht mehr aufgesucht werden kann.

Da die ART — und deswegen auch Gödels Resultat — insofern unrealistisch sind, als sie die stets vorhandene Quantenfluktuation nicht mit berücksichtigen, glaube ich zudem, dass es auch keinerlei zyklische Wiederholung der Zustände des Universums geben kann: Einmal Vergangenes wird in seiner damaligen Form exakt so nicht wieder entstehen und neu existieren.

Gödel, so schreibt Yourgrau, hat bis zu seinem Tode immer wieder nach astronomischen Belegen gesucht, die geeignet sein könnten zu zeigen, dass auch unsere Welt ein R-Universum ist, hat aber keine entdeckt. Da der Beweis für langsame Rotation des Weltalls extrem kompliziert und extrem schwer zu erbringen ist, können wir nicht erwarten, dass bald entschieden sein könnte, wie weit unsere Alltagserfahrung, was Zeit betrifft, tatsächlich gegebener Wirklichkeit entspricht.

Bis dahin jedenfalls macht es Sinn, mit Gödel und Yourgrau anzunehmen, dass die Zeit der ART sich von durch uns gefühlter Zeit in etwa so unterscheidet, wie formal Beweisbares sich von dem unterscheidet, was darüber hinaus noch wahr ist: Wahr­scheinlich können mathematische Modelle der Natur ganz prinzipiell nicht vollständig sein; die durch Gödel entdeckte Unvoll­stän­digkeit aller hinreichend komplexen widerspruchsfreien formalen Systeme ist wohl nur erstes Beispiel hierfür.

Nebenbei noch: Wie Heinrich Päs mir versichert, ist selbst in Gödel-Universen keineswegs jeder Pfad durch die Zeit Teil einer Zeit­schleife. Zeitschleifen sind auf einen bestimmten Parameterbereich beschränkt (mehr dazu in Rüdiger Vaas: Tunnel durch Raum und Zeit, Kosmos-Verlag, erweiterte Auflage 2013, S. 291).

Es bleibt aber festzuhalten: Wie Gödels Ergebnis zeigt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch die Raumzeit eines unendlich alten Universums endlichen Durchmesser haben kann — und der über die Zeit hinweg keineswegs konstant sein muss. Ein Zeitabschnitt, in dem er extrem schnell wächst, könnte dann gut die Zeit sein, die wir heute die Zeit des Urknalls nennen.


Ebenfalls interessant: In sich geschlossene, zeitartige Kurven scheint es auch im Inneren rotierender Schwarzer Löcher zu geben. Dies zeigt eine durch Roy Kerr 1963 gefunden Lösung von Einsteins Feldgleichung. Lies mehr dazu im ersten Teil der Seite Inside a Black Hole.




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