Interessantes zu Theoretischer Physik

Alexander Vilenkins Irrtum, Denkfehler, Doppelgängertheorie ist falsch

Warum Vilenkins Argument nicht nachvollziehbar ist

Der Kosmologe Alexander Vilenkin ist dafür bekannt, dass er glaubt, bewiesen zu haben, das durch Menschen beobachtbare Universum existiere in den Weiten des Alls nicht nur einmal, sondern gleich unendlich oft. Daher, so argumentiert er, müsse auch jeder von uns irgendwo im Kosmos unendlich viele Doppelgänger haben.

Autoren populärwissenschaftlicher Bücher — so etwa Hürtner & Rauner in ihrem Buch Die verrückte Welt der Paralleluniversen (Piper 2009, S. 77) geben Vilenkins Argument dann meist in folgender Form wieder:

Tatsächlich aber ist nur die erste dieser drei Aussagen richtig. Die beiden anderen sind falsch, wie wir jetzt gleich beweisen werden:

Damit ist Vilenkins Argumentationskette in ihrer ganzen Länge als nicht nachvollziehbar erkannt — auf jeden Fall in der groben Form, in der populärwissenschaftliche Bücher sie wiedergeben.

Wie Vilenkin und sein Coautor genau argumentieren, lässt sich nachlesen im Research Paper J. Garriga, A. Vilenkin: Many Worlds in One, Phys. Review, Vol. D64, p. 043511 (2001). Per Mausklick einsehbar ist dieses Papier für jedermann wenigstens auf arXiv. Man liest dort in einer seiner letzten Zeilen: "we argued that the num­ber of distinct histories is finite, which allowed us to conclude that there should be regions with histories identical to ours".

Diese Formulierung trägt der Tatsache Rechnung, dass man streng genommen nicht einfach nur im 3-dimensionalen Raum argumentieren darf — wie populärwissenschaftliche Autoren das tun —, sondern dass man stattdessen in der 4-dimensionalen Raumzeit zu argumentieren hat. An den beiden oben diskutierten Denkfehlern ändert das aber rein gar nichts.

Richtig an Guerras und Vilenkins Beweisidee wäre einzig und allein, dass — falls es für die unendlich vielen Welten insgesamt nur endlich viele Historien gäbe — mindestens eine unendlich oft vorliegen müsste. Die Autoren aber argumentieren, es müsse dann sogar jede der Historien unendlich oft auftreten. Das aber ist eine logisch ganz und gar nicht zwingende Schlussfolgerung.

Dass andere Physiker, beispielsweise John David Barrow — ein Professor für angewandte Mathematik und theore­tische Physik an der Universität Cambridge —, wenigstens diesen wirklich groben logischen Fehler scheinbar immer noch nicht erkannt haben, ist erstaunlich und ganz sicher Folge der Tatsache, dass Physiker oft viel weniger genau als Mathematiker argumentieren.

Hürtner & Rauner zitieren Barrow auf Seite 158-159 ihres Buches (s. Leseprobe) sogar mit der Aussage: "Auch wenn jemand stirbt, gibt es irgendwo im weiten All unendlich viele Kopien von ihm, die das gleiche Gedächtnis, die gleichen Erinnerungen und die gleichen Erfahrungen aus der Vergangenheit mitbringen, aber weiter­leben. So geht es bis in alle Zukunft weiter, und so gesehen ›lebt‹ jeder von uns ewig."

Man sieht an diesem Beispiel sehr schön, welche Irrlehren selbst anerkannte Wissenschaftler in die Welt setzen können, allein da­durch, dass sie allzu schlampig argumentieren. Mathematikern sträuben sich da nicht selten alle Haare.


Nebenbei noch:

Die Tatsache, dass Vilenkins Argumentation unhaltbar ist, beweist noch keineswegs, dass es nicht doch zueinander disjunkte Universen mit exakt derselben Historie geben kann. Klar aber scheint: Die Wahr­schein­lichkeit dafür, dass sie existieren, konvergiert gegen Null, je mehr man sich vor Augen führt, dass

  • Quantenfluktuation immer und überall präsent ist,
  • absolut zufälliges Ergebnis hat
  • und Heisenbergs Unschärferelation zeigt, dass die Skala, auf der virtuelle Teilchen entstehen und Wirkung zeitigen können, in keine Richtung hin beschränkt ist (auch nicht durch die Planckskala).

Wie die Chaostheorie zeigt, darf auch nicht angenommen werden, dass virtuelle Teilchen erst ab einer bestimmten Lebensdauer oder erst ab einem bestimmten Energiegehalt entscheidenden Einfluss auf die Fortentwicklung eines Universums haben können.



Einige Kosmologen — und zahlreiche populärwissenschaftliche Darstellungen der Multiversentheorie — stellen es als selbstverständlich hin, dass alles, was möglich ist, in irgend einem Universum auch tat­sächlich vorkommt. Die Wahrscheinlichkeitstheorie, so schreiben sie, würde es beweisen.

Aber tut sie das wirklich? Ganz offensichtlich nicht, denn:

In Linde und Vilenkins Theorie kommt erschwerend hinzu, dass jedes ihrer Blasenuniversen durch einen Urknall entsteht und sehr gut in einem Big Freeze enden könnte. Wer will denn da noch sicher sein, dass es keine theoretisch möglichen Zustände gibt, die ein Universum allein schon seiner anfänglichen Ent­wicklungs­geschichte wegen ab einem bestimmten Zeitpunkt nie mehr annehmen wird?

Das Argument also, dass die rein kombinatorisch möglichen Teilchenkonfigurationen keineswegs alle gleich wahr­scheinlich sein werden, wiegt schwer. Kurz:

Nichts zwingt die Natur,
jeden zeitweise möglichen Zustand auch tatsächlich herzustellen:


Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein bestimmter Zustand in einem konkreten Universum noch ergeben kann, ist über die Zeit hinweg keineswegs konstant und kann schnell auf Null absinken.


Wir sehen:

Vilenkins Argument ist äußerst fragwürdig, wird aber doch in den Büchern vieler Physiker — vielleicht nur aus Sensationslust heraus? — ständig wiederholt. Der am MIT lehrende Mathematiker und Kosmologe Max Tegmark will auf Basis solcher Argumentation sogar errechnet haben, dass der durch­schnittliche Abstand seiner Doppelgänger im Multiversum nur etwa das 2000-fache der Länge unseres Beobachtungshorizonts betrage. Einzig und allein der Astrophysiker Paul Davies — der all das in seinem Buch Der kosmische Voll­treffer (2006) auch wiederholt — ist ehrlich genug, wenigstens vorsichtig darauf hinzuweisen, dass alle diese Rechnungen gleich in mehrfacher Hinsicht von sehr fragwürdigen Voraussetzungen ausgehen, u.a. von der, dass jedes der unendlich vielen Universen, die man da voraussetzt, nur endlich vieler Zustände fähig ist — diese Annahme aber keineswegs selbstverständlich erscheint, da es, wie er schreibt, ja keinen logischen Grund dafür gibt, dass nicht wenigstens einige physikalische Variable kontinuierlich sein können.

Noch viel utopischer als Vilenkins Theorie — logisch gesehen aber nicht angreifbar — ist Nick Bostroms Verdacht, es wäre möglich, dass unser Universum (und damit auch wir) lediglich als Computersimulation existieren. Details dazu finden sich ausgehend von Seite Nick Bostroms Verdacht, /m.

Auf jeden Fall richtig aber ist, auf was Paul Davies hinweist: Wir können nicht sicher sein, ob nicht irgend etwas von all dem, was wir uns als in sich logisch konsistent existierend vorstellen können, vielleicht doch auch tatsächlich irgendwo zu finden ist — vielleicht weit hinter unserem Ereignishorizont.

Nur der Schluss, dass alles, was möglich ist, auch tatsächlich irgendwo existiere — wie der Mathematiker Max Tegmark, aber auch der Philosoph David Lewis glauben — ist logisch nicht nachvollziehbar.



stw5202VUTVilenkin . Universum . TeilchenNews?

Mehr + B G E + S H A + More