Wie Wissenschaft naiven Realismus als falsch erkannt hat
Schon lange, bevor wir z.B. Somotophrenie kannten oder mit Magnetresonanztomographie Aufnahmen vom Gehirn machen konnten, gab es Denker, die gegen den naiven Realismus argumentierten.Schon 1781 stellte der deutsche Philosoph Immanuel Kant die These auf, dass die Wirklichkeit, die wir erfahren (Realität also) nur ein Konstrukt unseres Geistes sei und folglich von vornherein durch unsere Glaubenssätze, Gefühle, Erfahrungen und Wünsche geprägt sei.
Im Jahrhundert nach Kant erforderten dann auch die Entwicklungen in der Physik ein neues Wirklichkeitsbild, das von unserer alltäglich Erfahrung weit abwich:
Immer mehr unsichtbare Objekte wie elektrische und magnetische Felder, Atome und Elektronen schlichen sich in die Theorie der Physik ein. Einstein meinte, die physikalische Feldtheorie sei vermutlich die weitreichendste Entdeckung der Physik seit Newton.
Die Physiker stellten fest, dass sie — ja sogar sämtliche Gegenstände der Quantenphysik — nichts weiter sind als gedankliche Modelle, die sich zu Erforschung und Erklärung des Verhaltens der Natur anbieten und gut eignen. Ludwig Boltzmann — der Vater der modernen Atomtheorie — schrieb einmal, man müsse Theorien wie die Atomtheorie als » geistiges « Bild zur Erklärung beobachteter Phänomene und Erscheinungen betrachten, das zu ihnen im selben Verhältnis stehe wie ein Symbol zu dem, für was es steht.
1905 stellte Einstein dann fest, dass das Atommodell und molekulare Prozesse die Brownsche Bewegung erklären konnten, die man nur unter dem Mikroskop erkennen kann. Das genügte den meisten Physikern, nun auch Atome als "real existierend" zu betrachten. Direkt "sehen" konnte man Atome und Moleküle aber erst ab 1981. Und sogar hierbei wird ein Bild zusammengesetzt, indem eine Sonde das betrachtete Material abtastet und so etwas erzeugt, das man eine "Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme" nennt. Dieses lassen einige als Sehen « durchgehen, ander halten es für eine künstliche Veranschaulichung von Boltzmanns mathematischem Konstrukt, dem Atom bzw. von aus Atomen zusammengesetzter Molekülen. Benzolringe etwa sind unter solchem Mikroskop klar als 6-eckige Anordnung von Atomen erkennbar.
Heute haben Physiker kaum noch Skrupel, in theoretischen Modellen auftretende Objekte selbst dann als "real existierend" zu betrachten, wenn sie — wie etwa Quarks — gar nicht einzeln beobachtbar sind. So mancher Physiker sieht sie eher als knotenartige Stellen in z.B. Nukleonen.
Wenn Experimentalphysiker extrem stark beschleunigte Teilchen, z.B. Protonen und Elektronen, auf einander prallen lassen, so dass sie sich gegenseitig zertrümmern, lässt sich kein einziges Quark blicken. Man erklärt sich das heute so, dass die Anziehungskraft zwischen den Quarks (die sog. "starke Wechselwirkung") mit der Distanz zunimmt, als wären Quarks durch eine straff gespannte Feder an einander gebunden.
Historische Notiz: Quarks sind das, was Feynman "Partonen" nannte und zunächst nur hinsichtlich einiger ihrer Eigenschaften betrachtet hat.
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Der Physiker Hans-Peter Dürr beschreibt die Problematik der Realismusfrage wie folgt:
Die moderne Physik hat uns da jedoch eine interessante Lektion erteilt, die zu einer tief greifenden Korrektur dieser Vorstellung führte:
Sie hat uns bedeutet, dass die Vorstellung einer objektiven Realität, einer materiell ausgeprägten Wirklichkeit wohl in gewisser Näherung angemessen, aber als absolutes Naturprinzip unzulässig und falsch ist, ja, dass diese Vorstellung uns sogar einen tieferen Einblick in das Wesen der eigentlichen Wirklichkeit versperrt.“
spw/Realismus.htm — Wirklichkeit . Realität . Realismus — News?
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