Hi Eugen,
wenn du mir Links auf jene Stellen geben kannst — oder sie in Büchern zu finden sind, auf die ich Zugriff habe — werde ich sie mir ganz bestimmt ansehen.
Hallo Grtgrt,
gut, ich mache mir mal die Mühe und gebe dir die entsprechenden Hinweise als Zitate aus meinen Büchern. Keiner der aufgeführten Autoren gibt einen Hinweis darauf, dass das Zwillingsparadoxon nur mit Hilfe der ART gelöst werden könnte.
Sie argumentieren alle mit Hilfe der SRT.
Hallo Eugen,
erst mal vielen Dank für Deine Mühe. Ich weiß sie sehr zu schätzen!
Nun aber lass mich dazu Stellung beziehen (Ausgangspunkt können heute nur die Zitate selbst sein, denn keines jener Bücher habe ich zu Hause):
Zunächst mal ist festzustellen, dass wir beide hier etwas sehr Interessantes entdeckt haben:
Die unterschiedliche Überzeugung, die hier im Forum die beiden Gruppen an Physik interessierter Laien
{ Bauhof, Stueps, Henry, Okotombrok } vs { Grtgrt, Harti }
auseinander dividiert, besteht offenbar auch zwischen den beiden folgenden Gruppen von Physik-Professoren:
{ D.Giulini & T.Filk + C.Kiefer + E.Rebhan } vs { W.Greiner & J.Rafelski }.
Um zu sehen, wer recht hat, müssen wir jetzt also tatsächlich die Argumentation aller viel genauer als bisher betrachten, um zu sehen, wo die eine oder andere lückenhaft oder nicht nachvollziehbar ist. Tun wir das:
Allen — den Professoren ebenso wie uns hier im Forum — ist gemeinsam, dass wir wissen: Wo die Situation, die zum sog. Zwillingsparadoxon führt (kurz: SZw), in der Wirklichkeit nachgestellt wird, werden die beiden Zwillinge mindestens zeitweise unterschiedlichen Beschleunigungskräften ausgesetzt sein. Schon allein deswegen wird jeder Logiker uns sagen: Da die SRT Situationen, in denen es zu beschleunigter Bewegung kommt, gar nicht vorgibt, noch behandeln zu können, kann sie auf Situation SZw auch gar nicht anwendbar sein.
Nun könnte man aber argumentieren, dass die SRT, wenn man genauer hinsieht, vielleicht auch beschleunigte Situationen noch behandeln könnte (dass also Einstein und Minkowski, die Einschränkung, nur gleichförmige Bewegung zuzulassen, vielleicht gar nicht hätten machen müssen).
Jeder, der behauptet, auch die SRT würde beweisen, dass die Zwillinge, wenn sie sich wieder treffen, unterschiedlich alt sind, geht — implizit oder explizit — von dieser Annahme aus — hat dann aber auch die Pflicht, sie zu beweisen.
Die
Zitate [1] und [2] skizzieren den Ansatz solcher Beweisversuche, sind aber nicht detailliert genug, mir zu zeigen, ob jene "Beweise" auch wirklich schlüssig sind.
Im Zitat [3] wird durch Rebhan explizit versucht, die SRT so zu erweitern, dass sie auch noch auf beschleunigte Bewegung anwendbar ist. Dies, so wird behauptet, gelänge über Anwendung eines mathematischen Grenzprozesses.
Zwei Aussagen aus diesem Beweisversuch aber finde ich nicht wirklich nachvollziebar. Es sind die jetzt im Zitat
rot hervorgehobenen Teile:
Zitat:
Wir betrachten noch die kurzen Beschleunigungsphasen der Rakete im Inertialsystem der Erde. Diese können wir stückweise aus Teilen zusammensetzen, während deren die Geschwindigkeit annähernd konstant ist. Da diese jeweils kleiner als die Fluggeschwindigkeit v ist, ergibt sich für die Dauer einer ganzen Beschleunigungsphase im Mittel eine kleinere Zeitdilatation als für eine gleich lange Flugphase mit der konstanten Reisegeschwindigkeit. Lassen wir jetzt die Beschleunigung gegen unendlich und die Beschleunigungsdauer gegen null gehen, so geht auch die diktierte Beschleunigungsdauer gegen null.
Man könnte vermuten, dass dem Effekt der SRT auch noch Effekte der ART überlagert sind. Wir werden später allerdings sehen, dass das nur der Fall ist, wenn Schwerefelder involviert sind, ansonsten bleibt die oben angestellte Überlegung richtig. Man kann sich aber auch schon, ohne Genaueres über ART-Effekt zu wissen, darüber klar werden, dass diese bei einer langen Raumfahrt keine Rolle spielen. Um das einzusehen, nehmen wir an, für den Zwilling auf der Erde sei die Dauer einer Beschleunigungsphase dt, für den im Raumschiff unter Einbezug von ART-Effekten dt'. Aus der Homogenität der Zeit folgt, dass der Quotient dt'/dt nur von der Art des Beschleunigungsprozesses abhängt, nicht aber von dem Zeitpunkt, zu dem er durchgeführt wird. Die Raumfahrt enthält vier gleichartige Beschleunigungsprozesse, die Geschwindigkeit des Raumschiffes geht von
0 → vmax → 0 → vmax → 0
Damit ergibt sich als Altersunterschied der Zwillinge
D = ( T – T' ) + 4( dt – dt' )
Der Anteil ( T – T' ) wächst mit der Dauer der Raumfahrt, während der Anteil 4( dt – dt' ) konstant ist. Er kann durch ein Differenzexperiment zum Verschwinden gebracht werden; in einem Einzelexperiment wird er vernachlässigbar, wenn die Raumfahrt hinreichend lange dauert. Für unsere weiteren Überlegungen machen wir die letzte Annahme.
Zitat [4] schließlich begündet die Meinung der Autoren nur in Form einer (als "offensichtlich wahr" hingestellten) V e r m u t u n g (und ist deswegen nicht ernst zu nehmen. Die Autoren scheinen Gymnasiallehrer zu sein, Personen also, die wohl auch nicht kompetenter sind als an Relativitätstheorie ernsthaft interessierte Laien.
Dem
Zitat aus [5] schließlich kann ich gar nicht entnehmen, dass der Autor — Ulrich Schröder — es für zweifelsfrei erwiesen hält, dass die SRT auf die Situation beschleunigter Bewegung in irgendeiner sinnvollen Verallgemeinerung ihrer selbst (der SRT) anwendbar wird. Er weist lediglich mit Bestimmheit darauf hin, dass in der realen Wirklichkeit unser Welt (wie Hafele & Keating zeigen konnten) es tatsächlich zu unterschiedlich schneller Alterung zweier Objekte kommen kann.
[1] Giulini, Domenico und Filk, Thomas: Am Anfang war die Ewigkeit. Auf der Suche nach dem Ursprung der Zeit.
München 2004
ISBN=3-406-52187-8
[2] Kiefer, C...: Der Quantenkosmos.
Frankfurt am Main 2008
ISBN=978-3-10-039506-1
[3] Rebhan, Eckhard: Theoretische Physik. Band 1: Mechanik, Elektrodynamik, Spezielle und Allgemeine Relativitätstheorie, Kosmologie
Heidelberg 1999
ISBN=3-8274-0246-8
[4] Beyvers, Gottfried und Kusch, Elvira: Kleines 1 x 1 der Relativitätstheorie. Einsteins Physik mit Mathematik der Mittelstufe.
Berlin 2009
ISBN=978-3-540-85202-5
[5] Schröder, Ulrich E.: Spezielle Relativitätstheorie (Vierte Auflage)
Frankfurt am Main 2005
ISBN=3-8171-1724-8
Wenn wir uns jetzt im Gegenzug auch mein Argument aus
Beitrag 1997-114 nochmals vornehmen, so wird klar:
Meine Argumentation benötigt, um gültig zu sein, nur eine einzige Voraussetzung:
Die Konstanz und Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit.
Sie ist deswegen sogar noch auf beschleunigte Bewegungen anwendbar und zwar ganz unabhängig davon, ob beide Zwillinge oder nur einer beschleunigt wird.
So lange mir also in eben dieser Argumentation niemand einen Fehler aufzeigen kann, sehe ich sie als wunderbar einfache Bestätigung der Meinung von
W.Greiner und
J.Rafelski.
Auch wenn man nachsieht, wie renommiert die einzelnen Professoren sind, stehen da
W.Greiner &
J.Rafelski mit Sicherheit an der Spitze.
Damit, Eugen, bleibt mir vernünftiger Weise gar nichts anderes übrig, als zunächst mal zu glauben,
dass diese beiden — und damit auch ich — recht haben.
Mit besten Grüßen,
Gebhard (grtgrt)
Hallo Grtgrt,
lass Dich durch das Etikett "Einstein-Widerleger" nicht ins Boxhorn jagen. Selbstverständlich kann man das Zwillingsparadoxon nur mit Hilfe der ART lösen.
Hallo Harti,
auch nachdem Okotombrok das
Thema 1997 für jede weitere Äußerung gesperrt hat, bin ich der Frage, ob das Zwillingsparadoxon per SRT lösbar ist, weiter nachgegangen und weiß nun, dass Du und ich
— aber dennoch auch die anderen — recht hatten.
Es gilt nämlich:
Obgleich Einstein selbst im Rahmen der SRT niemals auch beschleunigte Bewegung diskutiert hat, hat man das — so etwa um das Jahr 2000 herum — dennoch versucht und hierbei schnell festgestellt, dass die Lorentztransformation der SRT auch zutreffende Aussagen darüber machen kann, wie Beschleunigung sich auf das beschleunigte System auswirkt (siehe etwa
ein durch Joachim Schulz beschriebenes Gedankenexperiment).
Dass solche auf dem Hintergrund der Raumzeit der SRT errechneten Ergebnisse tatsächlich (grob wenigstens) mit denen der ART übereinstimmen, wird — wenigstens für die dem Zwillingsparadoxon zugrunde liegende Situation — explizit nachgerechnet von Bernd Sonne und Reinhard Weiß in ihrem Buch
Einsteins Theorien: Spezielle und Allgemeine Relativitätstheorie für interessierte Einsteiger und zur Wiederholung (Springer, 2013). Ihre Rechnung auf Seite 111 bis 129 des Buches zeigt zudem sehr klar, dass auch die SRT den für die Zwillinge entstandenen Altersunterschied
ausschließlich auf jene Phasen der Reise zurückführt, in denen die beiden Zwillinge unterschiedlich beschleunigt waren.
Damit steht fest:
- Wer von der SRT (in Einsteins Fassung) ausgeht, geht von einer Theorie aus, die zu beschleunigten Bewegungen nichts aussagen will und demnach auf die Situation des Zwillingsparadoxon gar nicht anwendbar ist.
- Seit etwa 2000 aber geht man nicht mehr davon aus, dass die SRT — wenn man versucht, sie auch auf beschleunigte Bewegung anzuwenden — falsche Aussagen macht. Soweit man nämlich Beispiele in SRT u n d ART durchgerechnet hat, kam man zum gleichen Ergebnis (was aber nicht heißt, dass wirklich alles, was die ART sagt, auch mit Mitteln der SRT nachrechenbar wäre).
Es kommt hier wohl die Tatsache zum Tragen, dass in jeder hinreichend kleinen Umgebung eines nicht singulären Punktes P der Raumzeit der ART die SRT sehr gute Approximation der ART ist.
Hierbei allerdings muss berücksichtigt werden:
Wer im Rahmen der SRT auch beschleunigte Bewegungen betrachtet, sieht die Beschleunigung einfach nur als erste Ableitung der Geschwindigkeit nach der Zeit —
er sieht sie dann also noch nicht — wie die ART es tut — auch als physikalisches Phänomen äquivalent zu einer Krümmung der Raumzeit.
Diesen wesentlichen Unterschied nicht zu übersehen, macht es schon Sinn, über
beschleunigte Bewegungen tatsächlich nur mit Hilfe der ART nachzudenken.
Siehe dazu auch Bemerkungen auf
gutefrage.net.
Man sieht hier sehr schön, dass unterschiedlich genaue physikalische Modelle — SRT und ART — eben auch unterschiedlich genaue Aussagen machen.
Beste Grüße,
grtgrt