Interessantes zu Theoretischer Physik

Materie, Antimaterie, Dirac-See

Materie und Antimaterie

Antimaterie ist nichts wirklich Geheimnisvolles: Mathematisch vorhergesagt (fast gleichzeitig zu ihrer wirklichen Entdeckung im Experiment) wurde sie durch die Dirac-Gleichung, die als Fortentwicklung der Schrödinger-Gleichung

Die Schrödinger-Gleichung erklärt das Verhalten von Elektronen in einem Atom und zeigt u.A., dass sich das Elektron in einem Wasserstoffatom mit rund 2000 km/sec bewegt. Da dies weniger als 1% der Licht­geschwindigkeit ist, findet Schrödingers Gleichung auch heute noch breite Anwendung, obgleich sie keine relativistischen Effekte berücksichtigt und auch nicht den Spin der Elektronen, von dem Schrödinger noch gar nicht wusste.

Erstaunlicherweise fand Dirac den Spin in seiner Gleichung abgebildet, obgleich auch er, die Gleichung suchend, keineswegs schon daran gedacht hatte.

Erst Diracs Fortentwicklung der Schrödinger-Gleichung führte zu einer auch aus Sicht der Relativitäts­theorie richtigen Begründung der wichtigen Gleichung

E2 = (mc2)2 + (pc)2

( E = Energie, c = Lichtgeschwindigkeit, p = Impuls )


und somit zur Schlußfolgerung, dass wohl auch negative Werte von E mögliche Materie-Zustände beschreiben.

Dies also war der erste Gedanke, der Dirac dazu führte, die Existenz von Antimaterie vorherzusagen (damals: die Existenz eines Positrons, das Spiegelbild des Elektrons ist, sein Antipartner, wie man heute sagt).

Diracs Modell zur Erklärung der Zustände negativer Energie (die sog. Dirac-See) ist heute überholt, aber keineswegs uninteressant. Aktuelle Interpretationen solcher Zustände beziehen sich üblicherweise auf die Feynman-Stückelberg-Interpretation. Auf jeden Fall hat Diracs Gleichung richtig enthüllt:

Die Natur kennt auch Antimaterie.



Das bedeutet aber keineswegs, dass in Zusammenhang mit ihr schon alle Fragen geklärt wären:

Das uns heute sichtbare Universum ist ein erkalteter Rest dessen, was vor etwa 13.7 Mrd Jahren im sog. Big Bang entstand. Das das Entstehen von Antimaterie ebenso wahrscheinlich ist, wie das Entstehen von Materie, sollte man annehmen, dass beides in gleichem Umfang entstand und sich somit später beides komplett gegenseitig ausgelöscht haben müsste. Warum also finden sich heute im Universum nicht einfach nur Photonen?

Wo uns das Weltall als absolut leer erscheint, existieren heute (durchschnittlich und nach aktueller Lehr­meinung) in je 5 Kubikmeter "leeren Raumes" immer noch 1 Proton und etwa 10 Mrd Photonen.

Kurz nach dem Big Bang — aber schon nachdem es schon zur Bildung von Elementarteilchen gekommen war — fanden sich darin mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zusätzlich weitere 10 Mrd Protonen und ebenso viele Antiprotonen. Nur sie fanden zu Paaren zusammen, um sich so gegenseitig auszulöschen.

Warum das Verhältnis von Protonen und Antiprotonen damals (1 + 10 Mrd)/( 10 Mrd ) war, statt genau 1, wie sich vermuten ließe, könnte zurückzuführen sein auf die Tatsache, dass man — wenigstens auf Ebene der Quarks — die Symmetrie zwischen Materie- und entsprechenden Antimaterie-Teilchen tatsächlich als ein klein wenig gestört erkennt (sagt die Gleichung selbst das?). Ansonsten aber haben, bis aufs Vor­zei­chen von Spin und Ladung, sämtliche Antipartner der Elementarteilchen genau die gleichen Eigenschaften wie jene Teilchen selbst. Insbesondere gelten deswegen für Antimaterie genau die gleichen chemischen Gesetze und genau das gleiche Periodensystem der Elemente wie für reguläre Materie.

Mehr noch: Wo die Physiker bisher Antimaterie beobachtet haben, war sie stets zurückzuführen auf eben erst erfolgte Zusammenstöße gewöhnlicher Elementarteilchen:

Außerhalb der Erde konnte man Antimaterie bisher nirgendwo nachweisen. Das allerdings könnte daran liegen, dass sie je exakt dieselben Spektrallinien hat wie gewöhnliche Materie. Die Frage also, ob es ganze Sterne gibt, die nur aus Antimaterie bestehen, ist heute noch völlig offen. Man denkt aber, dass das eher nicht der Fall sein wird.

Anti-Wasserstoff-Atome sind die bisher komplexesten Strukturen aus Antimaterie, die Physiker bisher zu Gesicht bekamen. Dennoch sagt die Theorie — bisher durch nichts widerlegt — dass es zu wirklich allen chemischen Elementen entsprechende Anti-Atome und Anti-Moleküle gibt, die genau so beschaffen sind, als hatte man jedes Elementarteilchen gewöhnlicher Materie durch seinen jeweiligen Anti-Partner ersetzt.

Wo ein Elementarteilchen einem entsprechenden Anti-Teilchen hinreichend nahe kommt, lösen sich beide auf in Photonen. Antiteilchen aufzubewahren gelingt deswegen nur in einer sog. Ionenfalle, z.B. einer Penning-Falle (einem Fast-Vakuum, dessen Wände durch starke Magnetfelder gebildet werden).

Dennoch hat Antimaterie bereits recht nützliche praktische Anwendungen gefunden, z.B. in der Medizin in Form der Positronen-Emissions-Tomographie (PET). Selbst zur Krebsbekämpfung könnten Anti­protonen demnächst wirkungsvollere Wege eröffnen.

Nebenbei: Ionenfallen sind nicht dafür geeignet, Anti-Atome aufzubewahren (die nämlich tragen keine Ladung, so dass Magnetfelder für sie kein Hindernis darstellen). Aber selbst eine größere Menge ladungs­tragender Anti-Teilchen kann man so nicht aufbewahren, da mit steigender Zahl solcher Teilchen, die die Falle begrenzenden Magnetfelder immer stärker werden müssten.

Die Verhältnisse auf unserer Erde sind keineswegs typisch für das Universum als Ganzes: Wasserstoff etwa ist auf der Erde ein seltenes Element und ist dennoch das häufigste im gesamten Universum. Sterne bestehen hautpsächlich aus Wasserstoff. Erst nach und nach entstehen in ihnen die schweren Elemente.

Mit Hilfe moderner Teilchenbeschleuniger kann man heute die Entstehungsgeschichte von Materie gut rekonstruieren:

Auf der Erde besteht Materie hauptsächlich aus Atomen und Molekülen, d.h. aus Elektronen in der Gefangenschaft des elektrischen Feldes der Atomkerne. Mit steigenden Temperaturen stoßen Atome immer heftiger gegeneinander, was zum Herausschlagen ihrer Elektronen führt und schließlich, bei Temperaturn ab 10.000 Grad, zur Auflösung der Atome. Sämtliche Elektronen bewegen sich dann unabhängig von den Kernen in einem Gas, das aus elektrisch geladenen Teilchen besteht (sog. Plasma).

Bei Temperaturen, die mehrere Millionen Grad übersteigen, nimmt die Materie völlig andere Formen an. Soweit man heute weiß, bleiben dann nur die Elektronen unverändert. Protonen und Neutronen aber zerfallen bei etwa 1 Billiarde Grad in ein sog. Quark-Gluon-Plasma. Nirgendwo im Universum herrschen heute solche Temperaturen (mal abgesehen davon, dass sie konstruierbar sind durch in Hochenergie-Beschleunigern aufeinanderprallende Teilchen: Schon etwa 1960 konnte man so Temperaturen hervor­rufen, die weit höher sind als jene in der Sonne).

Heute kann man Bedingungen simulieren, wie sie wohl unmittelbar nach dem Big Bang geherrscht haben.

Schon Experimente im LEP Collider bewiesen, dass Elektronen, Positronen, Quarks, Antiquarks, und viele Photonen und Gluonen schon kurz nach dem Big Bang erzeugt worden sind bei Temperaturen, die viele Millliarden Grad höher waren als heute in der Sonne. Erst nachdem sich das Universum deutlich abgekühlt hatte, verbanden sich diese fundamentalen Bausteine zu immer komplexeren Strukturen: Dreiergruppen aus Quarks bildeten Protonen und Neutronen, sie wiederum verbanden sich zu riesigen Plasmakugeln, den Sternen, in denen dann die ersten Elemente gebacken wurden. Wo Teile der Sterne ins Weltall hinaus­geschleudert wurden, um dort zu Planeten und Monden zu werden, fiel die Temperatur weiter, so dass die Atomkerne dann Elektronen einfangen und erste Moleküle bilden konnten. Hier erst begann die Zeit der Chemie, der Biologie und gelegentlich auch die des Lebens.

Als man zum ersten Mal eine Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie fand (in Quarks vom Typ Strange und Bottom), war das eine wirkliche Sensation. Mit zunehmender Menge an Daten wurde jedoch deutlich, dass auch sie wohl nicht erklären kann, warum es heute im Universum keine (alte) Antimaterie zu geben scheint. In den letzten Jahren hat sich die Aufmerksamkeit daher den Leptonen zugewandt: den elektronen-artigen Teilchen und ihren Geschwistern, den Neutrinos. Auch hier kann es — wenigstens der Theorie nach — zu einer Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie kommen. Insbesondere auf die Neutrinos konzentriert sich heute die Suche nach der Ursache der fehlenden Antimaterie.

Ein Neutrino kommt dem Nichts so nahe, wie das für ein Teilchen überhaupt möglich ist: Ohne elektrische Ladung mit nur sehr kleiner Masse kann es die Erde durchdringen wie eine Gewehrkugel eine Nebelwand. Da Neutrinos als Fermionen durch die Dirac-Gleichung beschrieben sind, sollten auch sie sich nach Materie und Antimaterie unterscheiden. Die Quantentheorie sagt vorher, dass sich ein Neutrino in ein Elektron und ein W+ umwandeln kann (und ein Antineutrino entsprechend in ein Positron und ein W-). Obgleich beide hierdurch unterscheidbar wären, war es bis heute nicht möglich, so einen Prozess in der Praxis wirklich zu beobachten. 50 Jahre lang sah man den Unterschied zwischen Neutrino und Antineutrino deswegen durch ihren Spin gegeben. Seit kurzem aber frägt man sich, ob jedes Neutrino nicht vielleicht BEIDES ist: Materie UND Antimaterie.

Ausführlicher: Neutrinos haben, wie Elektronen, einen Spin. Da Elektronen elektrische Ladung tragen, macht der Spin sie zu Magneten (in Bewegung können sie eine von zwei möglichen Orientierungen an­nehmen: Nordpol in Flugrichtung oder Südpol in Flugrichtung). Man kann sich das wie einen Korken­zieher vorstellen, einen linkshändigen oder einen rechtshändigen. Und so spricht auch der Physiker, je nach Spinorientierung, von linkshändigen bzw. rechtshändigen Elektronen.

Neutrinos, obgleich ohne Ladung, haben ebenfalls links- oder rechtshändige Spinorientierung. Links­händige betrachtete man als Materie, rechtshändige aber als Antimaterie (da die einen den Kontakt mit Elektronen, die anderen aber den Kontakt zu Positronen zu bevorzugen scheinen). Ist es nun aber wirklich so, dass sich die beiden auflösen, wenn sie aufeinander treffen? Erst das würde sie ja als Materie und Antimaterie kennzeichnen.

Lange dachte man, Neutrinos hätten keine Masse und würden sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Heute weiß man: Sie haben Masse. Ihren genauen Wert kennt man nicht, er muss aber wenigstens 4 Größenordnungen kleiner als die Masse des Elektrons sein.

Zu wissen, dass Neutrinos nicht masselos sind, ist wichtig, da die Relativitätstheorie zeigt, dass ein Fermion nur dann in der Lage ist, seine Spin-Richtung zu ändern, wenn es sich langsamer als Licht bewegt (d.h. wenn es Ruhemasse hat). Konsequenz daraus: Es ist heute nicht mehr klar, ob Neutrinos stets linkshändig und Antineutrinos stets rechtshändig sind. Man kann somit auch nicht mehr aus­schließen, dass das Neutrino sein eigener Antipartner ist.

Auch könnte es gut neben den bekannten, sehr leichten, Neutrinos, andere, massereichere geben (sog. Majorana-Neutrinos, auch Majoronen genannt). Man könnte sie bisher übersehen haben da sie vermutlich außerhalb der Energiebereiche unserer Beschleuniger liegen. Solle es sie wirklich geben, oder gegeben haben, hätte der Big Bang auch sie erzeugt, was erstaunliche Konsequenzen für die Eigenschaften des heutigen Universums hätte:

Nach der Theorie könnte ein Majoron, bei dem es sich ja um ein sehr schweres, neutrales Fermion handelt, seine Energie in Form eins Higgs-Bosons abgegeben haben, wodurch es dann zu einem Neutrino oder Antineutrino irgendeiner der 3 Flavour-Generationen geworden wäre. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass in so einem Prozess ebenso viele Neutrinos wie Antineutrinos entstanden sein müssen. Vielleicht also ist genau deswegen heute Materie übrig (über jene hinaus, die sich im Zusamenprall mit Antimaterie zu Photonen aufgelöst hat).

Dieses Szenario wäre so erklärbar:

Unmittelbar nach dem Big Bang hätten sich aus der siedenden Suppe ständig neue Majoronen gebildet und wären auch fast sofort zerfallen. Nachdem diese Suppe sich aber schnell abkühlte, kam sie in einen Zustand, an dem die Energie zur Erzeugung neuer Majoronen nicht mehr ausreichte. Sie starben aus und haben nur in ihren Zerfallsprodukten die Gegenwart erreicht. Auf jeden Fall können in diesem Prozess mehr Neutrinos als Antineutrinos entstanden sein. Quarks entstehen (u.A. in diesem Prozess), wenn Neutrinos oder Antineutrinos mit Elektronen oder Positronen kollidieren. Sobald es aber auch hierfür zu kalt wurde, kam es zur großen Auslöschung von Materie und Antimaterie. Übrig geblieben sein könnte eine relativ kleine Menge von Quarks, die dann schließlich zu der Materie wurden, die sich heute noch im Universum findet.

Gegenwärtig (2009) sucht man im CERN nach Beweisen für diese (immerhin mögliche) Erklärung der Tat­sache, dass aus den Kindertagen des Universums nur Materie überlebt zu haben scheint.

Mit Sicherheit weiß man bisher aber nur, dass Materie zu einem Zeitpunkt gegen Antimaterie gewonnen haben muss, zu dem das Universum noch heißer war, als wir es heute im Experiment nachvollziehen können.

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Der enorme Aufwand, dessen es bedarf, Antimaterie von Materie getrennt zu halten (und schon allein der Energie-Erhaltungssatz) zeigen, dass aus Antimaterie niemals mehr Energie gewonnen werden kann, als notwendig war, sie zu erzeugen.

Antimaterie zu produzieren, macht deswegen keinerlei Sinn.

Dies belegen sehr überzeugend einige Zahlen, die der Kernphysiker Frank Close in Anhang 1 seines Buches Antimaterie nennt:

Mittels Antimaterie Bomben — oder auch nur brauchbare Batterien — herzu­stellen, wird somit nie gelingen.



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