Praktisches & Grundsätzliches zur Informatik

Physik, Hawking

Hawkings Denkanstoß

In einer seiner Public Lectures – Godel and the End of Physics – setzt Steven Hawking 2002 eine recht interessante Idee in die Welt. Er schreibt (Zitat):


Hawking scheint zu übersehen, dass Gödels Ergebnis sich nur auf rein formale, automatisierbare Beweisbarkeit bezieht. Das ist relevant, denn die Mathematik kennt ja durchaus mächtigere Beweis­verfahren (z.B. transfinite Induktion). Formale Beweisbarkeit sieht so aus: Man hat eine endliche Menge formal notierbarer, ohne Beweis als wahr anerkannter Aussagen. Man hat ferner endlich viele Regeln, die – angewandt auf wahre Aussagen – weitere Aussagen liefern, die man dann auch als wahr anerkennt. Als beweisbar im Kontext dessen, was Gödel betrachtet, gilt eine Aussage genau dann, wenn sie so durch endlich viele Regelanwendungen aus den Axiomen ableitbar ist.

Hawking scheint auch zu übersehen, dass jede auf sich selbst Bezug nehmende Theorie letztendlich einer Art Gleichungssystem entspricht (dann jedenfalls, wenn darin Aussagen vorkommen, deren Wahrheits­wert man noch nicht kennt – eben diese Wahrheitswerte sind die Unbekannten, die man durch Betrach­tung des "Gleichungssystems" zu errechnen sucht).

Mathematiker aber wissen: Keineswegs alle Gleichungssysteme sind lösbar oder haben – wenn sie lösbar sind – nur eine Lösung. Es gibt Beispiele, für jeden der folgenden Fälle:
Natürlich stellt sich die Frage, ob ein Gleichungssystem, das die Weltformel zur Lösung haben könnte, denn nun wirklich nur endlich viele Aussagen zu betrachten hat. Wenn nicht, sind es dann wenig­stens nur abzähl­bar viele? Und was genau sind die Objekte, über die betrachtete Aussagen zu sprechen haben? Sind das wenigstens endlich viele? Oder braucht man – wie etwa im heutigen Modell der Quantenphysik – einen geeigneten Integralbegriff auf Teilklassen solcher Objekte?

Noch komplizierter wird die Sache dadurch, dass jede Beobachtung, die Astronomen und Physiker durch irgendwelche Messungen machen, durch Messfehler verfälscht sein kann – was heute noch als durch ein passendes Experiment verifiziertes Wissen gilt, könnte morgen schon als nur grob richtig, und damit letztlich doch als falsch erkannt werden.

Die Frage also, ob in einer physikalischen Theorie enthaltene Inkonsistenzen sich aus der Natur der Physik ergeben oder doch eher nur aus zu grober Bebachtung physikalischer Objekte, könnte so schon aus rein praktischen Gründen heraus unentscheidbar sein bevor man nicht wirklich eine Weltformel gefunden hat.

Ein gravierender Unterschied zwischen mathematischen Gleichungen ohne Lösung und nicht voll kon­sistenten physikalischen Modellen besteht darin, dass in vielen Fällen auch nur kleinste Ab­änderung einer mathematischen Gleichung ohne Lösung zu einer Gleichung mit Lösungen führen kann (man denke da z.B. an lineare Gleichungssysteme: Unlös­barkeit ist dort eher der Ausnahme­fall, da sie genau dann gegeben ist, wenn die Determinante des Gleichungssystems den Wert Null hat). Ganz anders bei mit Widersprüchen behafteten physikalischen Modellen: Hier scheint Lös­bar­keit der Aus­nahmefall zu sein. Entsprechend schwieriger muss es hier sein, ein lösbares Modell zu finden. Wer weiß: Vielleicht gibt es ja auch nur eine einzige Lösung und nur ein einziges mini­males umfassendes physikalisches Modell. Die Tatsache, dass Physik etwas real Existierendes ist, deutet darauf hin, kann dafür aber dennoch kein Beweis sein.

Wir sehen: Steven Hawkings Denkanstoß ist zunächst wirklich nur ein Denkanstoß – wenn auch ein durchaus interessanter: Er veranlasst uns, noch unvoreingenommener als bisher nach Erklä­rungen der Welt um uns herum zu suchen — auch nach solchen, bei denen die Wahrscheinlich­keit, dass sie tatsächlich zutreffen, extrem gering ist; und insbesondere nach solchen, die bisher noch gar nicht zum Kandidaten­kreis möglicher Erklärungen gehörten.



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Unentscheidbarkeit in der Physik