Richard Feynman — der geniale Universalphysiker
So wie Gottfried Wilhelm von Leibnitz (1646-1716) heute als der letzte Universalgelehrte gilt, könnte sich Richard Feynman (1918-1988) als der Welt letzter Universalphysiker erweisen: Er hat- Beiträge zu praktisch jedem Gebiet der Physik geleistet,
- Experimente als notwendigen Teil (und ersten Schritt) jeder Problemlösung gesehen,
- auf fast magische Weise physikalische und mathematische Zusammenhänge durchblickt
und hat — nicht zuletzt dieser Fähigkeit wegen — - vielen Fortschritten der Theoretischen Physik den Weg geebnet.
Arbeiten anderer in allen Details durchzulesen, kam ihm nicht in den Sinn. Er las stets nur so weit, bis er die Problemlösung verstanden hatte und war dann sofort damit beschäftigt, selbst einen Lösungsweg zu finden. Nicht selten hat er so in Stunden oder Tagen eine Lösung gefunden, die eleganter und allgemeiner war, als die, welche der Autor des Papiers über Wochen hinweg entwickelt hatte. Hier ein Beispiel (siehe Seite 456-457 aus [JG]:
Wo Physiker auf eine Gelegenheit warteten, Feynman um eine Meinung zu einem Ergebnis zu befragen, an dem sie Wochen oder Monate gearbeitet hatten, konnten sie leicht einen bösen Schock erleben:
Es war bezeichnend für Feynman, daß er sich weigerte, einer ausführlichen Erläuterung des Problems zuzuhören. Er sagte, dies verderbe ihm den Spaß. Statt dessen ließ er sie das Problem nur umreißen.
Noch bevor sie damit fast fertig waren, sprang er oft schon auf und schrieb das Ergebnis an die Tafel — allerdings nicht jenes Ergebnis, das der Besucher erzielt hatte,
sonderen einen allgemeineren Lehrsatz, der jenes (das der Fragende vielleicht gerade zur Veröffentlichung einreichen wollte) als Spezialfall mit enthielt. |
Der Biograph James Gleick schreibt über Feynman und seinen Doktorvater John Archibald Wheeler:
This was Richard Feynman nearing the crest of his powers: At twenty-three ... there was no physicist on earth who could match his exuberant command over the native materials of theoretical science. It was not just a facility at mathematics (though it had become clear ... that the mathematical machinery emerging from the Wheeler-Feynman collaboration was beyond Wheeler's own ability). Feynman seemed to possess a frightening ease with the substance behind the equations, like Einstein at the same age, like the Soviet physicist Lev Landau – but few others. |
Den Nobelpreis (1965) erhielt Feynman gemeinsam mit Schwinger und Tomonaga für grundlegende Arbeiten zur Quantenelektrodynamik (mit an diesen Arbeiten beteiligt war allerdings auch ein Schüler Schwingers: Freeman Dyson, ein aus England kommender mathematisch außergewöhnlich begabter Student. Er und Schwinger gingen eher orthodox vor, Feynman dagegen — so sah Dyson das aber erst später — war in ihrer Gruppe der Visionär).
Im wesentlichen auf Seite 464 von [JG] liest liest sich das so:
Schwingers und Feynmans Theorie der Quantenelektrodynamik mochten zwar mathematisch dasselbe sein, doch war die eine Methode konservativ, die andere revolutionär.
Die eine führte einen bereits existierenden Gedankengang weiter, die andere löste sich so entschieden von der Vergangenheit, dass die Wissenschaftler zunächst ratlos waren. |
Der neue Weg der Veranschaulichung, von dem hier die Rede ist, sind die sog. Feynman Diagramme, hier ein nicht allzu einfaches Beispiel.
Nebenbei: Dass Feynmans Ansatz sich durchgesetzt hat, ist mit Dyson zu verdanken, da er die Äquivalenz der Theorien von Schwinger und Feynman bewies, da er als erster — gegen den Widerstand Schwingers — Feynmans Methodik eingesetzt hat und da es erst ihm gelang, den damals sehr einflussreichen Robert Oppenheimer von deren Richtigkeit zu überzeugen: Oppenheimer selbst war zunächst ganz anderer Meinung (und das obgleich er Feynman gut kannte).
Dass Feynman sich einfach nicht dazu überwinden konnte, zunächst einfach nur die Denkwege anderer zu gebrauchen, ist wohl auch die Ursache dafür, dass er sich beharrlich weigerte, die aktuelle Fachliteratur zu lesen. Mehr noch: Er tadelte Doktoranden, die ihre Arbeit damit begannen, einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu geben und zu berichten, was bereits über das Thema bekannt war.
Auf diese Weise würden sie sich der Chance berauben, etwas Originelles zu entdecken, so |
Von Feynman stammt auch der Ausspruch:
Vielleicht ist das der Grund für den Erfolg junger Menschen: Sie wissen noch nicht genug. Denn wenn man genügend weiß, liegt es auf der Hand, dass keine Idee, die man hat, etwas taugt. |
Welton war überzeugt, daß Feynman, hätte er mehr gewusst, nicht ein solcher Erneuerer gewesen wäre. Er sagte Feynman einmal explizit:
Richard, im Rückblick betrachtet, was wäre gewesen, wenn ich dich die QED gelehrt hätte — du hättest zu viel gewusst und wärest nicht zu solch grundlegenden Neuerungen fähig gewesen. (Und Feynmann gab ihm recht.) |
Siehe Seite 468-471 in [JG] und Gleicks Fußnote 118 dazu, ferner Seite 503:
Obgleich Feynman länger als andere kreativ war, war ihm doch schmerzlich bewusst, dass das Alter kein Freund des Physikers ist. An vielen Bürotüren im Caltech hing folgender Vers, den man Dirac zuschreibt, der lange Zeit Feynmans Vorbild war (dessen Widerstand gegen die Renormierungsmethodik Feynman dann aber doch nicht mehr verstehen konnte — was ihm die Wahrheit im Vers wohl besonders präsent machte):
That every physicist must fear.
He is better dead than living still
When once he's past his 30th year.
Feynman lehrte Physik bis zwei Wochen vor seinem Tod (der auf eine in gleich drei Varianten aufgetretende, schwere Krebserkrankung zurückzuführen war — ob sie irgendwie damit in Zusammenhang stand, dass Feynman noch vor seinem Promotionsstudium in Los Alamos an der Entwicklung und Erprobung der Atombombe beteiligt war, kann niemand sagen. Bekannt aber ist, dass er die Detonation der Bombe zu beobachten und zu protokollieren hatte – aus einem Flugzeug heraus – und dass er einige Tage später auch den durch sie verglasten Wüstensand am Ground Zero in Augenschein nahm).
Einige damals am Projekt Beteiligten waren ihm dankbar, dass er noch Wochen vorher Berechnungen angestellt hatte, die aufdeckten, dass angereichertes Uran deutlich vorsichtiger gelagert werden muss, als man das bis dahin wusste und getan hatte. Die Eingeweihten waren sich bewusst, dass es ohne Feynmans Wirken sehr wohl zu einer nicht kontrollierten Kernschmelze hätte kommen können.
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