Relativitätstheorie beschreibt beobachterspezifische Realität
Dass die Aussagen der Relativitätstheorie in populärwissenschaftlicher Literatur oft recht irreführend formuliert sind, ist eine Sache. Eine ganz andere aber ist, dass selbst Hochschullehrer für Theoretische Physik sich gelegentlich allzu ungenau ausdrücken.Ein Beispiel hierfür ist folgende Aussage von Heinrich Päs, Professor für Theoretische Physik: Im Video Physik der Zeitreise: Schritt 3 – Paradoxien der Zeitreise sagt und schreibt er (ab Min 8:59):
läuft die Zeit langsamer, je schneller man sich bewegt."
Diese Formulierung ist in gleich zweierlei Hinsicht falsch und irreführend, denn:
- Sie suggeriert uns, dass es einen absoluten Geschwindigkeitsbegriff gäbe.
Den aber gibt es nicht, denn Geschwindigkeit ist relativ, d.h. stets nur definierbar relativ zu einem vorweg gewählten Bezugssystem, in dessen Ursprung man sich den Beobachter denkt.
Die nicht weiter spezifizierte Wendung "je schneller man sich bewegt" in der oben zitierten Aussage hat deswegen keine wohldefinierte Semantik. Allein schon deswegen ist Päs Formulierung inakzeptabel.
Zudem suggeriert sie uns, dass der sich Bewegende wahrnehmen könne, seine Zeit verliefe langsamer, je schneller er sich bewegt. Eben das aber ist nicht so.
- Was Päs im Video eigentlich hätte sagen sollen ist:
Nach Einsteins Spezieller Relativitätstheorie
vergeht die Zeit eines relativ zum Beobachter bewegten Objekts aus Sicht des Beobachters umso langsamer, je schneller sich das Objekt von ihm weg bewegt.
Aus Sicht des Objekts aber vergeht die Zeit des Beobachters langsamer. [Details]
Da nun also das, was der Beobachter erkennt, dem widerspricht, was das Objekt erkennt, ist offensichtlich, dass die von beiden beim jeweils anderen beobachtete Dehnung (Dilatation) der Zeit nicht wirklich sein kann, dort also so nicht eintritt:
Was ihre Realität subjektiv macht, ist die Tatsache, dass sie aus unterschiedlichen Bezugssystemen heraus argumentieren: aus Bezugssystemen, die nicht äquivalent, da relativ zueinander bewegt sind.
Dass diese beiden Wahrnehmungen der Wirklichkeit einander widersprechen, lässt sich beobachtungstechnisch begründen, wenn man weiß, dass die Lichtgeschwindigkeit endlich ist und Licht sich relativ zu jedem Objekt mit ein und derselben Geschwindigkeit bewegt. Einstein hat uns das 1905 als erster vorgerechnet.
WICHTIGER HINWEIS:
Alles, was oben gesagt wird, bezieht sich auf unbeschleunigte Bewegung, die den Abstand des Objekts vom Beobachter vergrößert.
Sofern Bewegung den Abstand des Beobachters vom beobachteten Objekt verkleinert, hat man als Beobachter den Eindruck, die Zeit des Objekts verginge schneller als die eigene.
Ursache hierfür ist die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit in Kombination mit der Tatsache, dass man ein (Raumzeit-) Ereignis immer nur zu genau dem Zeitpunkt beobachten kann, zu dem man frühestens davon erfahren haben kann. [Siehe Zeitpunkt eines Ereignisses]
Sind Beobachter, das beobachtete Objekt oder gar beide beschleunigt, ergibt sich eine Situation, die i.A. erst durch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie korrekt beschrieben wird (und weniger leicht zu verstehen ist) [Genaueres dazu in Notiz #65, #76 und #74].
In Summe gilt:
Note: Da es Personen gibt, die denken, meine Wendung "Aus Sicht von ..." könne missverstanden werden, sei erklärt: "Aus Sicht von X" ist zu lesen als "Beurteilt aus einem Koordinatensystem heraus, in dem X ruht".
Wie einfach es ist, das Relativitätsprinzip in Worten zu beschreiben, die — ganz anders als die von Päs gewählten — kein Missverständnis zulassen, zeigen die Erklärung der Zeitdilatation in Wikipedia und vor allem auch der Physiker Kip S. Thorne, in dessen Buch » Gekrümmter Raum und verbogene Zeit « man auf Seite 84 liest:
als ob meine Zeit langsamer verliefe als die Zeit in ihrem dahinrasenden Auto.
Sie haben den Eindruck, als ticke meine Uhr in der Polizeistation langsamer als Ihre im Auto.
Und in Ihren Augen bin ich derjenige, der langsamer spricht,
dessen Haar langsamer wächst und der langsamer altert.
Dass sich die Subjektivität der Wahrnehmung beseitigen lässt, wenn der Beobachter berücksichtigt, wie unterschiedlich lange Information unterwegs war, bis sie ihn erreicht hat, beweist das GPS System.
Insgesamt ist nun klar: Die oben zitierte Aussage von Päs muss ersetzt werden durch:
Bewegte Uhren scheinen langsamer zu gehen:
Jeder Beobachter, relativ zu dem die Uhr sich bewegt, hat diesen Eindruck.
Das Ausmaß allerdings, in dem unterschiedliche Beobachter eine bewegte Uhr langsamer gehen sehen,
kann von Beobachter zu Beobachter verschieden groß sein. Kurz:
Wie schnell ein Beobachter eine Uhr gehen sieht, hängt davon ab,
wie schnell er sich ihr gegenüber bewegt.
Wichtig ist noch, dass all das nur in Abwesenheit von Beschleunigung gilt. Sobald ein Beobachter, ein beobachtetes Objekt oder gar beide beschleunigt sind, wird die Sache komplizierter, da beschleunigte Uhren stets langsamer gehen und beschleunigte Objekte stets weniger schnell altern.
Der allgemeine Fall wird treffend beschrieben durch eine Formulierung, die ebenfalls von Heinrich Päs stammt (private Kommunikation vom 22.4.2016): Es geht um
Im einen bewegt sich der Beobachter und dort vergeht seine Zeit langsamer.
Im anderen bewegt sich der Beobachter nicht, hier bewegt sich das Objekt, und hier vergeht dessen Zeit langsamer.
Die Unbestimmtheit, welches System als Ruhesystem gilt, gilt dabei nur für Inertialsysteme.
Sobald eines der Systeme beschleunigt wird,
vergeht dort die Zeit langsamer, egal in welchem System Sie messen."
Vorsicht aber: Es gibt nicht das Ruhesystem, sondern nur Systeme, in denen der Beobachter ruht, und andere, in denen das relativ zu ihm bewegte Objekt ruht. Und natürlich gibt es auch den Fall, dass beide beschleunigt sind, vielleicht auch unterschiedlich stark und in unterschiedlicher Richtung.
Sofern einer von beiden das nicht berücksichtigt, unterstellt er dem anderen einen falschen Begriff von Raum und Zeit.
Zusammenfassend lässt sich sagen:
Einstein hat erkannt, dass es Zeit und Raum als absolute Begriffe gar nicht gibt. Wenn wir von Zeit sprechen, meinen wir damit immer einen beobachterspezifisch definierten Zeitbegriff.
Und so ist denn auch die Aussage
immer zu verstehen als:
Sich vom Beobachter weg bewegende Objekte altern langsamer.
Der Zeitbegriff des Beobachters ergibt sich durch die Wahl eines Koordinatensystems, in dem dieser Beobachter ruht.
Konsequenz daraus ist (zitiert nach Kip Thorne): Wenn Sie und ich uns relativ zueinander bewegen, muss das, was ich als Raum bezeichne, eine Mischung aus Ihrem Raum und Ihrer Zeit sein, und das, was Sie Raum nennen, eine Mischung aus meinem Raum und meiner Zeit.
Note: Der raumzeitliche Abstand s zweier Objekte wird gemessen über die sog. Minkowski-Metrik, die den üblichen Abstandsbegriff im 3-dimensionalen euklidischen Raum in die Zeitdimension hinein verallgemeinert:
Hier steht c für die im 3-dimensionalen Raum beobachtete Lichtgeschwindigkeit. Letztlich also gilt für jeden Beobachter B und für jeden raumzeitlichen Abstand s
wo t(B) und r(B) das darstellen, was ein Beobachter als Zeit und Raum wahrnimmt. Sofern Beobachter sich zueinander bewegen, werden für sie diese beiden "Schatten" der Raumzeit unterschiedlich groß sein. Dies meint, wer davon spricht, dass Zeit und Raum relativ seien.
Letztlich sind Raum und Zeit nur vom Menschen geschaffene Begriffe, die ihm helfen, sich das Verhalten der Natur zu erklären (so schrieb Marcelo Gleiser, Physiker und Astronom).
Eindeutig — d.h. aus Sicht aller Beobachter gleich groß — ist nur der raumzeitliche Abstand zweier Ereignisse (d.h. ihr Abstand ds unter der Minkowski-Metrik).
Nebenbei: Erkenntnisse der Physik scheinen mir besonders überlegt und treffend formuliert in Büchern von Kip S. Thorne, Martin Carrier, Helmut Satz, Lothar Schäfer und Josef Hohnerkamp.
Warum Physik selbst Mathematikern gelegentlich als schwierig erscheint, liegt nicht zuletzt daran, dass Physiker sich erstaunlich oft viel zu ungenau ausdrücken. Hier ein zweites krasses Beispiel:
In Heinrich Päs: Neutrinos: Die perfekte Welle, Springer, 2017, liest man auf Seite 52: Die Energie der Teilchen messen die Physiker in Elektronenvolt oder kurz eV, das ist die Energie, die ein Elektron hat, wenn man es mit einer Spannung von einem Volt beschleunigt.
Wer über diese Aussage nachdenkt und sich vor Augen führt, dass Energie relativ ist, und daher die Energie eines beschleunigten Elektrons einem nicht beschleunigten Beobachter als ständig wachsend erscheinen wird, dem muss doch geradezu der Verdacht kommen, dass Päs' Definition keinen Sinn ergibt.
Wikipedia sagt uns: Wird ein Elektron in einem elektrischen Feld beschleunigt, so ändert sich seine kinetische Energie [über welche Distanz oder Zeitspanne hinweg?] um genau ein Elektronvolt, wenn die Beschleunigungsspannung 1 Volt beträgt.
Können diese beiden Definitionen wirklich dasselbe bedeuten? Schließlich ist die Energie eines Elektrons ja keineswegs nur kinetische Energie.
Am klarsten — und nun wirklich richtig — drückt sich in dieser Sache Lisa Randall aus. Sie schreibt:
An electronvolt (eV) is the energy required to move an electron against a potential difference of 1 volt.
Was der Autor in Wikipedia also sagen wollte: Wird ein Elektron durch ein elektrisches Feld beschleunigt, so ändert sich seine Lageenergie um genau 1 eV zwischen je zwei Punkten, deren Potentialdifferenz 1 Volt beträgt.
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