Interessantes zu Theoretischer Physik

Everett, Viele Welten Theorie

Hugh Everetts Viele-Welten-Theorie

Hauptgegenstand dieser Theorie sind

Auf die Frage, wie sicher er sei, dass all die vielen Welten, die nach seiner Theorie möglich erscheinen, denn wirklich real existieren, hat Everett selbst mal geantwortet, er sehe die Wahr­scheinlichkeit, dass dem so sei, bei etwa 70%.

Nach Fertigstellung der ersten Fassung seiner Arbeit (der ausführlichen) hatte Everett mit einer Reihe bekannter Physiker Diskussionen über das Thema, auf Drängen von Wheeler auch mit Bohr und seiner Gruppe. Obgleich Bohr und insbesondere dessen "Famulus" Rosenfeld wohl gar nicht daran interessiert waren, seinen Gedankengang wirklich genau zu betrachten und zu verstehen, ist doch interessant, dass Everett im Herbst 1979 auf diese Diskussion zurückblickend in einem Brief an Max Jammer schrieb:


» Ich war überrascht und ein wenig amüsiert, dass keiner dieser Physiker einer der aus meiner Sicht wich­tig­sten Errungenschaften der Theorie begriffen hatte — die "strenge" Herleitung der Wahr­scheinlichkeitsdeutung der Quantenmechanik allein aus der Wellenmechanik ...

Was einzigartig ist an der Wahl des Maßes und warum es einem aufgedrängt wird, ist, dass es durch die Bewegungsgleichung ein Erhaltungsgesetz für die Wahrscheinlichkeit befriedigt. «


Heute gibt es Physiker und Philosophen, die meinen, Everett sei mit seiner Herleitung der Wahrschein­lich­keit dem Ziel neuer, zutreffender Erkenntnis sehr nahe gewesen:

Hinweis: Die erst 2010 experimentell bestätigte Regel von Born sieht das Quadrat der Wellen­funktion eines Quantensystems als das Wahr­scheinlichkeitsfeld, welches beschreibt, mit welcher Wahr­scheinlich­keit jenes System – ein Quant etwa –, an irgend einer Stelle im Raum mit seiner Umgebung interagiert und dort Spuren solcher Interaktion hinterlässt, die wir als Beweis sehen, es dort "beobachtet" zu haben.

Everetts Doktorvater, John Wheeler, hatte durchgesetzt, dass Everetts Arbeit als Dissertation nur in stark gekürzter Form angenommen wurde (auf fast 1/4 gekürzt).

Bedauerlicherweise war insbesondere das Kapitel zu Everetts Infor­mationstheorie komplett gestrichen worden, was schade ist, denn nach Sterns Urteil war es "das beste im ganzen Buch" gewesen [B.227].

Nach Wheelers eigener Aussage [B.432] wünschte er sich, dass Everetts Ideen bekannt würden — allerdings nicht deshalb, weil er sie für wahr hielt, sondern weil er sie als Sprungbrett sah, um die Logik hinter dem Wellenkollaps zu hinterfragen, den Wheeler, wie er 1977 an Benioff schrieb, nicht für den richtigen Ansatz hielt, das Messproblem zu verstehen.

Warum er seinen Schüler dann aber zwang, seine Arbeit derart drastisch zu verstümmeln — statt durch mehr Erklärung zu ergänzen —, bleibt Wheelers Geheimnis, wird von vielen aber dadurch erklärt, dass er alles vermeiden wollte, was den von ihm so grenzenlos bewunderten Niels Bohr definitiv verärgert hätte.

Die vollständige Fassung von Everetts Arbeit wurde erst 1973 – fast 20 Jahre nach ihrem Entstehen – durch Bryce DeWitt veröffentlicht, der als erster daran interessiert schien, dass die Fachwelt sie ernsthaft diskutiert. Leider konnte er Everett nicht mehr dazu bewegen, wenigstens noch die Druck­fahnen zu lesen und zu prüfen.

Mitherausgeber war N. Graham, der zuvor selbst an einer ihm notwendig erscheinenden Verbesserung ihres wahrscheinlichkeits-theoretischen Ansatzes gearbeitet hatte, hiermit aber nicht Everetts Beifall fand: Auch Graham, so Everett, habe ihn nicht richtig verstanden (siehe dazu Susskind's Fußnote auf Seite 9 in diesem Skriptum).

Dass DeWitt von Everetts Theorie als der Everett-Wheeler-Theorie sprach, war Wheeler unangenehm: Er hat sich das mindestens einmal sogar explizit verbeten.


Historische Notiz:

Nachdem die Physiker — besonders auch die Kopenhagener Schule und deswegen auch John Wheeler — nicht bereit waren, Everetts Ansatz ernsthaft und gründlich zu diskutieren, hat er sich, pragmatisch denkend, von der akademischem Welt abgewandt um sich mit Hingabe dem Operations Research im Kontext des Kalten Krieges zu widmen. Dort wenigstens hat man ihn schnell als überaus brillianten Denker erkannt und seine Ergebnisse geschätzt (und gut bezahlt).

Obgleich Everetts Dissertation sein erster und letzter Beitrag zur Quantenphysik war und er nicht gerne öffentlich Vorträge hielt, nahm er im Frühjahr 1977 doch eine Einlagung Wheelers an, im Rahmen eines Seminars an der Universität Austin (Texas) über seine Viele-Welten-Deutung zu sprechen. Bei der Nachsitzung saß neben ihm David Deutsch, ein Student aus England, der bei Wheeler und DeWitt über quantentheoretische Fragen arbeitete. Er stelle Everett Fragen zum Problem einer bevorzugten Basis. Viele Jahre später noch erinnert sich Deutsch:


» Ich wunderte mich, wie detaillierte Antworten ich bekam, denn normalerweise werden Leute auf Gebieten, in denen sie nicht mehr aktiv sind, "rostig". Everett aber war hell begeistert von seiner Theorie und verteidigte sie beharrlich sowohl als Ganzes wie auch sehr subtil im Einzelnen. Euphe­mismen wie "relative Zustände" verwendete er dabei nicht. « [B.430].


Deutsch fragte Everett damals nicht nach dem verwandten Problem der Herleitung der Wahrscheinlich­keit. Später schloß er sich DeWitt an, der meinte, Everetts Wahrscheinlichkeitsmaß bewähre sich nicht.

Wichtig zu wissen:

Everett selbst hat nie von "Parallelwelten" gesprochen. Er sprach von "relativen Zuständen", seine Theorie bezeichnete er als Correlation Interpretation, er verstand sie als Metatheorie zur Quanten­me­chanik. Erst Bryce DeWitt hat diese "relativen Zustände" (= sämtliche Möglichkeiten für die kommenden Zustände der Welt) als "viele Welten" bezeichnet und damit nur Verwirrung gestiftet: Kaum jemand, der diesen Begriff hört oder verwendet, macht sich nun die Mühe, zu prüfen, wie wörtlich er zu nehmen ist.

Nicht nur Autoren von populärwissenschaftlichen Schriften haben den Begriff "viele Welten" allzu wörtlich genommen. Und so entstand das weit verbreitete Missver­ständ­nis, dass Everetts Theorie die Existenz parallel zu unserer Welt existierender "Parallelwelten" postuliere (oder gar eine Multiversums-Theorie sei). Dies aber ist nicht der Fall, denn existent sind zwar unterschiedliche Weltentwürfe der Wellenfunktion, doch es besteht kein Grund anzunehmen, dass die Natur mehr als nur einen davon realisiert.

Heute wird man vorsichtiger und spricht eher von einer Interpretation denn einer Theorie.

Everett hat wohl nicht ausschließen wollen, dass die Natur sämtliche Entwürfe der Zukunft unserer Welt realisiert, denn Tegmark berichtet: When I later met Bryce, he told me he had at first com­plained to Hugh Everett, saying that he liked his math, but was really bothered by the gut feeling, that he just did not feel like he was constantly splitting into parallel versions of himself. He told me that Everett had responded with a question: "Do you feel like orbiting the sun at thirty kilometers per second?" [Max Tegmark: Our Mathematical Universe (2014), p. 191].


David Deutsch wurde zu einem der bekanntesten Befürworter der Viele-Welten-Interpretation (siehe sein Buch The Fabric of Reality, worin er aus dem Doppelspaltexperiment der Quantenmechanik den Schluss zieht, dass parallele Universen sehr konkret das Universum beeinflussen, z.B. die Intensitäts­verteilung der Photonen im Doppelspaltexperiment, wo ja Teilchen ohne sichtbare Wechselwirkungs­partner ein Interferenzmuster erzeugen (mit sich selbst interferieren). Die unsichtbaren Partner der durch den Doppelspalt kommenden Teilchen — so denkt Deutsch — seien Teilchen anderer Universen, auch wenn Paralleluniversen ansonsten nur äußerst schwer zugänglich seien. Ich denke nicht, dass er damit recht hat (siehe mein Verständnis).


Fußnote: Referenzen der Form [B.Seite] verweisen auf Peter Byrnes Everett Biographie » Viele Welten — Hugh Everett III – ein Familiendrama « (2010).

Siehe auch:



Festzuhalten bleibt:

Wer nicht an eine wie immer geartete Wirklichkeit von Parallelwelten glaubt, wird eher Heisenberg zustimmen, der der Meinung war, dass unsere Welt aus Vergangenheit, Gegenwart und Varianten möglicher Zukunft besteht, von denen jeweils genau  e i n e  erst zu realer Gegen­wart und dann zu einem Teil der Vergangenheit wird.

Parallelwelten existieren dann nur als Möglichkeiten für zukünftige Formen unserer Welt. Insofern ist der ständig auftretende Kollaps der Wellenfunktion ein Teilkollaps, der eben diese Funktion durch eine neue, leicht ab­geänderte Version ihrer selbst ersetzt. Dies führt dazu, dass unsere Zukunft im Detail nicht vorher­sehbar ist (und das umso mehr, je ferner sie der Gegenwart ist).

Everetts Prämisse — die Wellenfunktion des Universums sei die gleiche über alle Zeit hinweg — scheint mir der größte Schwachpunkt seiner Theorie. Wäre sie richtig, hätten wir keinerlei Entscheidungs­freiheit: Nie und nirgendwo.

Vielleicht hat ja genau das auch Wheeler von Anfang an gestört, denn 1979 [B.447] sagte er sich explizit von der Viele-Welten-Interpretation los und stellte von da an jede Annahme eines deterministischen Uni­ver­sums in Frage.


Nebenbei gesagt:

Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Everetts Idee einfach nur darauf zurückzuführen ist, dass er und andere — wie auch zahlreiche Physiker nach ihnen — den Begriff » Kollaps der Wellenfunktion « zu wörtlich nahmen (also falsch interpretierten).

Es handelt sich hier nämlich keineswegs um einen bleibenden Kollaps, sondern vielmehr nur um eine Korrektur der Wellenfunktion:

Das Eintreten von Wirkung nämlich bedeutet, dass aufeinander treffende Quanten sich spontan vereinigen und die Summe ihrer Energien sich praktisch noch im selben Ereignis neu aufteilt, d.h. die Natur

Dass das selbst weltweit bekannten Physikern und Buchautoren nicht wirklich klar zu sein scheint, zeigt sich daran, dass z.B. Michio Kaku auf Seite 307 seines Buches Die Physik des Unmöglichen (Rowohlt 2008) schreibt (ich zitiere):

Das ist natürlich Unsinn. [Beweis: Er müsste dann ja auch sagen, dass Schrödingers Katze selbst noch nach dem Öffnen der Box in beiden Zuständen existiere: einmal als tote Katze und zum anderen auch als lebende Katze. Das aber hat auch die Kopenhagener Interpretation niemals so verstanden.]



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Details on Hugh Everetts Theory of "Many Worlds"

Everett's Dissertation online