Wo moderne Kosmologie zu Philosophie wird
Philosophy is too important to be left to the philosophers ( John Wheeler, 1971 ) |
Nach der heute am ehesten anerkannten Version der Inflationstheorie — wie erst Linde, dann aber auch Vilenkin sie als weiter gedachten Vorschlag von Alan Guth vertreten, besteht der physikalische Kosmos — das Multiversum, wie man heute sagt — hauptsächlich aus inflationärem Raum. In ihn eingebettet sind blasenartige Regionen, in denen die Inflation fast ganz zum Stillstand kam, Regionen also, in denen der Raum sich kaum noch ausdehnt. Man nennt diese Regionen Blasenuniversen (bzw. Taschenuniversen). Da der Prozess überall gegebener Quantenfluktuation nicht zum Stillstand kommen kann, wird es zwischen jenen Blasen aber auch immer Raum geben, der weiter inflationär expandiert und in dem dann auch weiter Blasenuniversen entstehen. In diesem Meer von inflationär expandierenden Raum vergrößern sich große Abstände exponentiell schnell, so dass der Abstand zwischen den Blasenuniversen extrem schnell bis in alle Ewigkeit hinein wächst. Die Entfernung einer Blase zu all ihren Nachbarn wird daher schon nach winzigen Bruchteilen einer Sekunde weit größer sein als ihr eigener Durchmesser. Lindes Version der Inflationstheorie und seine Rechnung sagen voraus, dass der Durchmesser einer typischen Blase weit über dem unseres beobachtbaren Universums liegt. Genauer: Nach Lindes Rechnung beträgt er durchschnittlich 1010 000 000 000 Kilometer (das ist eine Zahl mit 10 Milliarden Dezimalstellen vor dem Komma)! Verglichen mit dem Durchmesser unser gegenwärtigen Beobachtungshorizonts — von nur etwa 1023 Kilometern — ist das fast unendlich weit. Zusammenstöße von Blasenuniversen, deren Alter über selbst nur kleine Bruchteile einer Sekunde hinaus reicht, braucht man also nicht wirklich zu befürchten.
Der Astrophysiker Paul Davies schrieb:
- Selbst wenn wir auf irgend einem Zauberteppich bis an den Rand unserer Blase gelangen könnten, würden wir benachbarte Blasenuniversen nicht sehen oder irgend wie anders wahrnehmen können.
Stattdessen würden wir dort auf einen Raum treffen, der noch immer der Inflation unterliegt und daher alles dort Existierende mit einer Geschwindigkeit weit über der des Lichts von uns weg trägt, da er jeden Abstand alle 10-34 Sekunden
verdoppelt.
Paul Davies: Der kosmische Volltreffer (2006)
Da Physik aber nichts beweisen kann, was nicht beobachtbar ist, ist diese Vorstellung vom Multiversum nur — wenn auch sehr plausible — Naturphilosophie. Dass wirklich zutrifft, was sie uns nahelegt, ist in etwa so wahrscheinlich, als das Zutreffen einer Idee der Weltentstehung, welche David Hume im 18. Jahrhundert entwickelt hat.
Der Philosoph David Hume schrieb (schon im 18. Jahrhundert):
- Wenn wir ein Schiff betrachten, was für eine hohe Vorstellung müssten wir uns von der Erfindungsgabe des Zimmermanns machen, der ein so geschickt zusammengesetzte, nützliche und schöne Maschine geschaffen hat?
Und welches Erstaunen müssten wir empfinden, wenn wir ihn als stumpfsinnigen Handwerker kennen lernen, der andere nachahmt und eine Kunst kopiert, die es erst über lange Zeiträume hinweg – nach vielen Versuchen,
Missgriffen, Verbesserungen, Überlegungen und Meinungsverschiedenheiten – allmählich zu solcher Vollkommenheit gebracht hat?
Wie viele Welten mögen über eine Ewigkeit verpfuscht worden sein, ehe die unsere gelang?
Diese Welt ist ... sehr fehlerhaft und unvollkommen, wenn man einen höheren Maßstab anlegt. War sie vielleicht bloß der erste rohe Versuch einer noch kindlichen Gottheit, die ihn nachher aufgab, beschämt über solch kümmerliches Machwerk?
Oder ist sie das Werk einer abhängigen, untergeordneten Gottheit und Gegenstand des Spottes höherer; oder ist sie vielleicht gar das Erzeugnis des kindischen Greisenalters einer überlebten Gottheit
und seit deren Tode einfach nur weitergelaufen infolge des ersten Anstoßes und der lebendigen Kraft, die sie einst von ihm empfing ...?
Quelle: David Hume, Dialoge über natürliche Religion, Hamburg 1968, 5. Teil, S. 48-51.
Wie falsch es wäre, Humes Gedanken als Gotteslästerung einzustufen, zeigt die Idee konvergenter Evolution, eine Vorstellung der Naturwissenschaft, für deren Gültigkeit spricht, was ein anerkannter Paläonthologe — Simon Conway Morris —, aus ganz anderer Perspektive heraus aber auch der Biologe und Verhaltensforscher Rupert Sheldrake entdeckt zu haben glauben.
Naturwissenschaft jedenfalls zeigt ganz klar, dass sie gar nicht anders kann, als in Philosophie zu münden — Nur Philosophie und Logik erlauben uns, den Kosmos sogar noch weit über unseren Beobachtungshorizont hinaus zu erforschen: dort also, wo es für uns keine Gewissheit mehr geben kann. |
Zum Wunder dessen, was Gehirne vermögen: Wie Karl Jaspers klar gemacht hat, beginnt Philosophieren schon im Unbewussten. Die "Argumentation" für eine in uns aufsteigende Wahrheit kann weitgehend unbewusst sein und hat dann mit formal nachvollziehbarer Logik sicher kaum noch was zu tun. Interessant ist, dass es sogar im mathematischen Bereich immer wieder geniale Beweisideen gibt, die sozusagen "vom Himmel fallen" (keine KI könnte sie ersinnen). Es ist, als hätte da das Unterbewusstsein des Mathematikers sie mit einer uns unbekannten Methodik, gesucht, entdeckt und als hilfreiches Szenario erkannt, in dem sich der eigentliche Beweis dann abspielen kann: ein Beweis, den dann das Bewusstsein des Mathematikers zu finden hat. Von Carl Friedrich Gauß — einem besonders fähigen Mathematiker des 19. Jahrhunderts — ist überliefert, dass er einmal gesagt haben soll: Meine Ergebnisse habe ich schon. Ich weiß nur noch nicht, wie ich nach dorthin komme (sprich: wie ich sie herleiten bzw. beweisen kann).
Unser bewusstes Denken ist offensichtlich nur vorderster kleiner Teil der Spitze eines "Bleistifts", der oder die insgesamt unseren Denkapparat darstellt. Wie die Evolution sie hervorbringen konnte, kann selbst Quantenphysik auch nicht ansatzweise erklären. Konvergenz der Evolution, wie Morris sie vermutet (sie bisher aber niemand beweisen kann), scheint mir bisher einziger sinnvoller Kandidat für eine Erklärung.
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Eine spannende Frage, die sich hier anschließend stellt, wäre: Wo in der Kette biologischer Evolution beginnt die Fähigkeit, zu philosophieren (d.h. im eigenen Bewusstsein Wahrheit aufsteigen zu fühlen)? Ich glaube nicht, dass nur Menschen diese Fähigkeit haben. Es scheint lediglich so zu sein, dass allein der Mensch die Fähigkeit hat, bewusst über den Unterschied zwischen Logik und Unlogik nachzudenken. Um Wahres als wahr zu erkennen, scheint diese Fähigkeit gar nicht wirklich notwendig zu sein. Wie, lieber Leser, denken Sie darüber? Rückmeldung an ggreiter@gmx.de wäre willkommen.
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Auf jeden Fall gilt:
Der Kosmos, soweit Physik ihn betrachten und beschreiben kann, ist nicht die ganze Wahrheit. Physik kennt ihn nur, soweit er sich mittels physikalischer Geräte beobachtbar macht. Man spart damit jene Dimensionen aus, zu denen der Menschen geistiges Vermögen gehört, welches sogar über den Kosmos selbst nachdenken kann. Sollte dies keine seiner wichtigen Eigenschaften sein?
Aber wie müssten wir ihn dann beschreiben, um dem mit gerecht zu werden?
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