Meine Frage war, welcher Mittel sich ein Wahrheitsunkundiger bei der Wahrheitssuche bedienen kann.
Hi Chemo,
Meine Antwort auf deine Frage wäre:
Unter Logik versteht man die Summe aller Wege, die dem Menschen offen stehen,
sein Wissen gezielt, systematisch und zuverlässig zu erweitern.
Diese Wege sind von dreierlei Art:
(1) Lernen, indem man beobachtet
(2) Lernen, indem man Fragen stellt
(3) Lernen, indem man Wissen gezielt konstruiert
Wege der Kategorie (1) sind eher selten besonders gezielt und besonders systematisch. Dafür decken sie aber ab, was ich als
meinen Verstand von der Leine lassen bezeichne. Das Logische an Wegen dieser Art besteht vor allem darin, möglichst gezielt zu beobachten und sich in komplizierteren Situationen bewusst zu fragen, ob man denn auch wirklich genau genug hingesehen hat.
Wege der Kategorie (2) sind ausgesprochen gezielt und besonders leicht zu gehen. Sie logisch zu gehen bedeutet vor allem, sich bewusst zu sein, dass nicht alle Antworten, die man auf eine Frage erhält, auch wirklich richtig sein müssen (es gilt also, sie zu prüfen).
Interessant ist, dass es da aber einen — und wohl auch NUR einen — Gesprächspartner gibt, auf dessen Antwort wie uns zu 100% verlassen können: Dieser Gesprächspartner ist die Logik selbst in Form eines Naturgesetzes, das man den
Satz (besser: das Axiom) vom Widerspruch nennt. Es sagt:
Lässt sich aus der Annahme, irgendwelche Aussagen seien wahr, ein Widerspruch ableiten,
so ist wenigstens eine dieser Aussagen falsch oder nicht wohldefiniert.
Einzusehen, dass und warum eine Aussage nicht wohldefiniert ist, kann beliebig schwierig sein (siehe
[R] und das Ende der Seite
[G] für zwei ganz typische, aber recht unterschiedliche Beispiele).
Eben weil das recht schwierig ist, halte ich es für so wertvoll, dass das Axiom vom Widerspruch — hier in der Rolle einer Phytia — uns absolut zuverlässig antwortet. Wir müssen nur schlau genug sein, die Aussage, von deren Wahrheit unsere Überlegung ausgeht, so zu wählen, dass mit Ausnahme nur einer einzigen, uns alle anderen schon als WAHR bekannt sind.
Vorsicht aber: Sofern wir keinen Widerspruch konstruieren können, sind wir nicht klüger als vorher (Phytia hat dann nicht geantwortet).
Wir sehen also: Die Natur ist vergleichbar einer Mutter, die uns beim Lernen zuschaut, sich nicht einzumischen versucht, uns aber sofort hilft, wenn wir in eine falsche Richtung laufen. Ist das nicht schön?
Kommen wir jetzt zu Kategorie (3): dem
Konstruieren wahrer Aussagen.
Es ist dies der Weg, den sog.
Expertensysteme gehen, Computerprogramme also, deren Aufgabe es ist, logische Konsequenzen gegebenen Wissens zu errechnen.
Jedes Expertensystem
- nimmt eine Menge
A(0) von Aussagen, deren Wahrheit man voraussetzt,
- und kennt eine Menge
R von Regeln, mit deren Hilfe sich Konsequenzen gegebener Aussagen errechnen lassen.
Einmal gestartet, ergänzt das System pro Takt jede schon vorhandene Menge
A(n) von Aussagen zu einer noch größeren Menge
A(n+1): Die neu hinzukommenden Aussagen entstehen durch jeweils einmalige Anwendung des Regelwerkes
R auf das in
A(n) enthaltene Wissen und sind garantiert wahr unter der Voraussetzung, dass alle Aussagen aus
A(0) wahr sind.
Wir sehen:
Jedes Expertensystem arbeitet wie ein Berater, der seinem Klienten zunächst Fragen stellt, seine Situation
A(0) kennenzulernen, und der dann — unter Nutzung seines eigenen Wissens
R — dem Klienten Konsequenzen seiner Situation aufzeigt (z.B. mögliche Wege, geschickt zu handeln).
Jeder von uns hat schon mal ein Expertensystem konsultiert,
- z.B. indem er an einen am Bahnhof stehenden Automaten nach einer komplizierten Zugverbindung gefragt hat.
- Auch die Art und Weise, in der Juristen denken, ist ein recht treffendes Beispiel für gezielte Wissenskonstruktion.
Gruß, grtgrt
PS: Wenn Mathematiker von einer
Logik sprechen, so verstehen sie darunter
- einerseits ein (meist nur gedachtes) Expertensystem (
A(0),
R ),
- andererseits aber auch die Menge ALLER über dieses System herleitbaren Aussagen (man nennt sie die durch jene Logik als WAHR nachweisbaren Aussagen).
Es kann Aussagen
A geben, für die weder
NOT A noch
A als WAHR nachweisbar sind. Man sagt dann,
A sei durch die Logik
nicht entscheidbar.
Interessant ist, dass das oben diskutierte Axiom vom Widerspruch der Menge aller wahren Aussagen (jeder Logik also) eine ganz klare, zwiebelartige Struktur gibt. Wen das interessiert, der findet sie skizziert auf Seite
Was Mathematiker und Logiker unter Logik verstehen.