welt-verstehen/Verständnis+Realität+Gestaltveränderung+Urerfahrung, stw6583VRGU
Hans-Peter-Duerr
Dürr (S. 22-23):
Die experimentellen Befunde der modernen Physik haben uns zu einer überraschenden Einsicht gezwungen:
Alles, was wir durch indirekte Beobachtungen oder durch Abstraktion unserer Wahrnehmungen als Wirklichkeit betrachten und in der Naturwissenschaft als (stoffliche) Realität beschreiben, darf in dieser Form nicht mit der eigentlichen Wirklichkeit — was auch immer wir uns darunter vorstellen wollen — verwechselt werden.
Dürrs Antwort darauf (S. 116-118):
Man kann "Zeit" sagen oder man kann "Veränderung" sagen. Beide Begriffe drücken gleiches aus, und beide eigentlich falsch, da wir dazu Substantive verwenden. Substantive sind Begriffe, die sich auf etwas beziehen, das ist, also existiert.
Aber ich muss etwas weiter ausholen: Ich habe vielfach davon gesprochen, dass in der Quantenphysik das Primat der Materie durch eine allgemeine "Verbundenheit" (oder Ähnliches) ersetzt werden muss, wofür ich u.A. auch die Bezeichnung "Gestaltveränderung" gewählt habe.
Verbundenheit aber kann — für unsere Erfahrung grundverschieden — räumlich und zeitlich sein. Wir verwenden daher für den zeitlichen Fall besser den Ausdruck "Veränderung".
Ihre Frage, auf den räumlichen Fall bezogen, würde dann lauten: Wie soll man sich Verbundenheit vorstellen ohne auch nur eine Ahnung von Raum zu haben?
Hierauf zu antworten erscheint leichter: Im Begriff der Verbundenheit steckt schon eine "Mehrheit" (mehr als eins), die den Raum aufspannt.
Der Raum kann eindimensional sein, wie eine Linie, zweidimensional wie eine Fläche usw. (Die 1-dimenionalen Räume lieben wir besonders, weil sie eine eindeutige Anordnung aller Existierenden ermöglichen, etwa im Sinne von kleiner und größer, schlechter und besser.)
Der Raum ist nur Konstrukt unseres wachen Bewusstseins.
Wenn wir jetzt das Substantiv "Verbundenheit" durch das Verb "verbinden" oder "binden" ersetzen, so tritt die Vorstellung des Raumes ganz zurück.
Veränderung (als zeitliche Verbundenheit) ist noch eine Stufe tiefer als die räumliche angelegt. Die Zeit nämlich ist gleich in doppelter Hinsicht ein Konstrukt:
- Erstens zerren wir sie auf die gleiche Stufe wie den leblosen Raum,
- und zweitens interpretieren wir sie dann auch — wie den Raum — ontologisch [ als etwas "Seiendes" ].
Die Zeit ist nicht die Schnur, auf der wir Perle um Perle anreihen. Es ist ein Nacheinander von Perlen, das die Schur nur imitiert.
"Ändern" [ Veränderung ] verbleibt als ein "durch alles hindurch fließen" ohne begriffen zu werden. Oder deutend und substantivisch verzerrt ausgedrückt:
Gestaltveränderung ist eine Urerfahrung,
die das Grundwesen unserer Wirklichkeit, zu wirken, widerspiegelt.
Zitat von Dürr:
So würde ich es auch sehen. Das ist eine Beziehungsstruktur, die aber nicht als Wechselwirkung gedeutet werden darf, sondern aus V e r b u n d e n h e i t kommt. Das ist sozusagen die Stelle in uns drin, welche die ursprüngliche Verbundenheit wahrnimmt, sie noch wirklich erlebt.
Wenn mein Ich zurückkehrt in diese Verbundenheit, dann wird das mir unverwechselbare Eigene aufgelöst, aber nicht das Erlebende. ...
Die körperliche Getrenntheit zweier Personen muss ja nicht bedeuten, dass auch die zugehörigen Seelen getrennt sind.
Zitat von Dürr:
Ich selber als Unverwechselbarer, mir Eigener, kehre nie wieder zurück: Die Schaumkrone einer Welle kehrt nicht als Schaumkrone einer einzigen Welle wieder, sondern verteilt auf viele, zusammen mit dem Schaum von anderen.
So würde ich vermuten, dass wir alle in gewissem Grade zurückkehren, aber nicht in der ursprünglichen Form, [nicht im alten unverwechselbaren Ich].
Den Vorsprung, den einer ... an Weisheit den anderen voraus hat, wird er nicht allein für sich selbst verwenden können, sondern es ist alles ein Beitrag an die verborgene große Weisheit, die alles Neue trägt und nährt.