Zitat von Dürr (S. 36-37, etwas gekürzt):
Die neue Weltsicht ist im Grunde holistisch, nicht atomistisch: Es existiert eigentlich nur das Eine, das Ungetrennte, das Untrennbare. ...
Das untrennbare Eine ist Prozesshaftes, Potentialität, aber nicht nur Möglichkeit, sondern auch das Vermögen zur Schaffung von Realität und von greifbar Seiendem [bestehend aus anfassbaren Objekten].
Die zeitliche Evolution besteht in einem fortschreitenden Prozess der Differenzierung dieses Untrennbaren durch Errichtung von Grenzzäunen (physikalisch: auslöschende Überlagerung von Potentialwellen).
Man ist an Zellteilung erinnert, wo sich eine Zelle ja auch vermehrt durch Neubildung von Zellwänden.
Dies imitiert die Entstehung unabhängiger Subsysteme, die als Teile des Gesamtsystems fungieren und aus denen dieses Gesamtsystem "zusammengesetzt" erscheint. Dies ist aber nie der Fall, weil der Zusammenhang viel tiefer geht, so wie etwa die sichtbar getrennten weißen Schaumkronen auf stürmischer See ja auch nicht die Betrachtung rechtfertigen, das Meer sei aus Wellen und Schaumkronen zusammengesetzt.
Das Sinnstiftende im Zusammenwirken der Als-ob-Teile entsteht immer aus dem Ganzen, das sie einschließt. Dieses Ganze, Eine, ist immer da.
Auch wir, die wir alle hier im Raum leben, sollten uns nicht vorstellen, dass wir wirklich getrennte Teile dieser Wirklichkeit sind, lose zusammengehalten durch einige Licht-, Laut- und andere von der Physik identifizierbaren Signale, die wir uns zur Verständigung wechselseitig zuwerfen. Wir sind alle Teile dieses selben Einen, derselben Potentialität, und spüren das auch: Wie sonst nämlich könnten ein paar hingeworfene Worte und Sätze mit ihrem dürftigen, abzählbaren Informationsgehalt sich in unserem jeweiligen Bewusstsein so reich entfalten.
Zitat von Dürr, S. 44:Ich habe als Physiker 50 Jahre lang — mein ganzes Forscherleben — damit verbracht zu fragen, was eigentlich hinter der Materie steckt. Des Endergebnis ist ganz einfach:
Es gibt keine Materie!
Zitat von Dürr, S. 39-42, einiger Kürzungen wegen nicht ganz wörtlich:
Unsere Mesowelt ist eine statistisch ausgemittelte Mikrowelt (vergleichbar einem Ameisenhaufen, der von Ferne wie ein statischer Hügel aussieht, der beim genauen Hinsehen aber ungeheuere Beweglichkeit zeigt: Dass sich dies Gewimmel nicht auch im Großen ausprägt, liegt daran, dass für jede Ameise, die in einer Richtung läuft, es immer auch eine andere gibt, die das Umgekehrte macht, weshalb dann im Durchschnitt keine Bewegung des Ganzen sichtbar ist).
Dass diese Ausmittelung so vollständig gelingt, liegt wesentlich am 2. Hauptsatz der Thermodynamik, welcher besagt, dass in einem sich selbst überlassenen System jede Besonderheit, jedes Ausgezeichnetsein, im Laufe der Zeit zerstört wird (man denke an einen Schreibtisch, der, wenn wir nicht aufräumen, immer unordentlicher wird).
Deshalb verstehen wir nicht, wie es in der Natur mit ihrem starken Hang zur Unordnung überhaupt dazu kommt, dass sich bei der Evolution hochdifferenzierter Systeme (wie uns Menschen etwa) Unordnung über lange Zeit hinweg hinweg nicht durchsetzen kann.
Was also ist da passiert? Hat die Natur für ihren lebendigen Teil nicht vielleicht doch bei einer höheren Instanz eine Ausnahmeregelung den Zweiten Hauptsatz betreffend erwirkt?
Nach heutiger Einsicht scheint es keine solche Ausnahmeregelung zu geben. Die unbelebte wie die belebte Natur basieren auf derselben Art von Prä-Materie, die im Grunde eigentlich keine Materie ist. Sie kann sich auf verschiedene Weise organisieren:
- Einmal ungeordnet und unkorreliert. Dann wird das resultierende Gesamtsystem stumpf, langweilig, apathisch (und wir nennen es unbelebte Materie).
- Prä-Materie kann sich aber auch auf differenziertere, raffiniertere Weise formieren. Es entstehen dann Stukturen, in denen das im Grunde embryonal Lebendige selbst noch in der Mesowelt zum Ausdruck kommt und so lebendiger Organismus wird. Die eingeprägte Potentialität wird makroskopisch sichtbar. Das Gesamtsystem muss dazu weit weg von seinem Gleichgewichtszustand sein, um ein Ausmitteln seiner inneren Lebendigkeit zu vermeiden.
Stellen Sie sich ein physikalisches Pendel vor (als herabhängenden, beweglichen Stab mit einem Gewicht unten). Es pendelt beim Anstoßen vorhersehbar und berechenbar um seine unter stabile Gleichgewichtslage. Dreht man aber Stab und Gewicht weit weg von unteren, stabilen Gleichgewicht nach ganz oben, so gibt es dort eine weitere Gleichgewichtslage. Sie ist instabil, und so wissen wir nicht, ob das Pendel auf die eine oder die andere Seite fallen wird. In diesem Instabilitätspunkt wird die inhärente Lebendigkeit des Systems sichtbar, weil es von winzig kleinen Unterschieden abhängt, ob der Pendel zum einen oder zum anderen Bewegungsablauf veranlasst wird. Die Naturwissenschaft kennt viele Systeme mit solch eingeprägten, dynamischen Instabilitäten. Sie führen zu, wie man sagt, "chaotischem" Bewegungsverhalten: Kleine Veränderungen in den Ursachen bewirken extrem große Unterschiede in den Folgen: Der Schlag eines Schmetterlings kann einen Taifun auslösen.
Leben — belebte makroskopische Oranismen — erfordern Strukturen in der Nähe inhärenter Instabilitäten. Aber Instabilitäten kippen. Um sie also lange in der Balance zu halten, müssen sie dauernd nachjustiert werden durch etwas, das sie neu austariert (intelligente Zuführung von Energie).
Diese Situation steht nicht im Widerspruch zum 2. Hauptsatz der Thermodynamik (d.h. zur allgegenwärtigen, dominanten Tendenz zur Unordnung). Denn es ist ja auch unsere ordnende Hand, die unseren Schreibtisch immer wieder in Ordnung bringen kann. Sie darf dabei aber nicht nur werkeln; sie muss darauf achten, was sie tut: Sie muss intelligent sein, den sonst beschleunigt sie nur den Prozess hin zur Unordnung.
Lebendige Systeme brauchen deswegen ... Intelligenz, eine geistige Führung, die prinzipiell im immateriellen Form-Grund verankert ist und sich in der Milliarden Jahre langen Evolution des Biosystems durch ein Plus-Summen-Spiel in komplexen Verästelungen immer höher entwickelt hat.
Hohnerkamp (2013, stark gekürzt):
Der englische Naturforscher Isaac Newton stellte fest, dass es bei verschiedenen Körpern auch einer verschiedenen Kraftanstrengung bedarf, ihre Bewegung zu ändern. Er führte als Maß für solche Trägheit den Begriff Masse ein und postulierte auch gleich, dass jene Masse dafür verantwortlich sei, dass Körper sich gegenseitig anziehen. Fortan galt die Eigenschaft, Masse zu besitzen, als Spezifikum materieller Objekte (und auch heute findet man das oft so formuliert, z.B. in Wikipedia).
Materielle Objekte sind danach alle Objekte, die Masse besitzen und daher Trägheit bei Bewegungsänderung zeigen sowie von anderen Objekten gleicher Art angezogen werden.
Erst Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie mache uns klar, dass dazu auch Licht gehört und man das Wort » Masse « besser durch » Energie « ersetzt, da ja Masse im Sinne Newtons nicht notwendig Ruhemasse ist.
Was aber wurde nun aus dem Begriff » Materie « ?
Offensichtlich bestehen alle Objekte, die man vor Einstein als materiell bezeichnet hatte, aus Elementarteilchen, d.h. aus Quanten. Auch das Licht — sich uns als Welle eines elektromagnetischen Feldes zeigend — ist auf mikroskopischer Ebene ein Strom von Quanten.
Somit musste man sich neu überlegen, was denn nun das Spezifikum eines materiellen Objekts sein solle.
Mit Hilfe der Relativitätstheorien und der Quantenphysik ist leicht einzusehen, wie die Definition des Begriffs » Materie « abzuwandeln ist, um diesen neuen Einsichten Rechnung zu tragen:
Was ein materielles Objekt kennzeichnet, ist nicht die Eigenschaft (Ruhe-) Masse zu haben,
sondern die Eigenschaft Energieträger zu sein.
Aber nicht nur das: Wer die Spezielle Relativitätstheorie kennt, der weiß, dass die Energie immer zusammen mit einem Impuls auftritt, diese beiden Größen also ebensowenig von einander trennbar sind wie Zeit von Raum.
Demnach sagt die Physik heute:
Materielle Objekte sind alle,
denen sich ein Energie-Impuls-Vektor zuordnen lässt.
Note: Da sich die neue Sprechweise noch nicht überall durchgesetzt hat — und alte Schriften ohnehin nicht abänderbar sind — wird häufig noch von Masse gesprochen, wo eigentlich Materie bzw. die sie darstellende Energie gemeint sind.
Sie ist relativ, d.h. aus der jeweils subjektiven Sicht unterschiedlicher, relativ zueinander bewegter Bezugssysteme heraus unterschiedlich groß.
Thomas Görnitz (1999, 2011):
"Die Meinung, dass wir verstünden, was Materie ist, kann zur Zeit wohl nur schwerlich ernsthaft vertreten werden.
In den naturwissenschaftlich orientierten Teilen der Biowissenschaften und Medizin wird noch vielfach ein historisch gewachsener und heute überholter Materiebegriff verwendet."
Er kann als Verfeinerung dessen angesehen werden, was wir im Alltagsleben unter Materi verstehen: Etwas, das feiner sein kann als Sand, aber doch nicht wesentlich verschieden davon.
Dieser [naive] Materiebegriff erfasst aber nur klassische Eigenschaften.
Es gibt sie selbstverständlich schon an kleinen Molekülen, und nur mittels dieser klassischen Eigenschaften werden heute biologische Vorgänge erklärt.
"Für den Teil der biologischen Probleme aber, für welche die Erklärungskraft dieser einfachen Modelle nicht ausreicht, konnte ich bei vielen Kontakten selten Bereitschaft erkennen, sich die Beschränktheit der klassischen Erklärungsmuster zu verdeutlichen."
Der Quantenphysiker Hans-Peter Dürr (1997, wörtlich zitiert):
"Astrophysiker neigen meist dazu, immer noch im Rahmen von klassischen Systemen wechselwirkender Teilchen zu denken.
Ein Quantenphysiker aber fängt mit dem zusammenhängenden, nicht auftrennbaren, ganzheitlichen » Einen « an.
Für den Quantenphysiker besteht weniger ein Problem darin, wie die Teile im Ganzen zusammenwirken, als vielmehr das umgekehrte Problem, wie eine Differenzierung des Ganzen, dieses » Einen « erfolgen kann, so dass es erscheint, als bestünde das Ganze aus wechselwirkenden Teilchen.
So ist etwa das elektromagnetische Feld ein unendlich ausgebreitetes Energiefeld. Mit geeigneter Überlagerung von elektromagnetischen Wellen lässt sich ein lokalisiertes Wellenpaket erzeugen, das wie ein Lichtteilchen » ein Photon « aussieht.
Der Differenzierungsprozess des » Einen « ist die Folge einer Selbstorganisation der Wellen: Die Erzeugung von Grenzflächen in dem » Einen « und nicht die Bildung von Gesamtsystemen aus zunächst » Getrennten «.
Die gesamte Evolution [ des Universums ] erscheint als Differenzierungsprozess mit einer wachsenden Zahl von näherungsweisen Trennungen, wodurch sich Unterbereiche in gewissem Umfang verselbständigen.
Das Hamiltonsche Prinzip der kleinsten Wirkung bedeutet aus dieser Sichtweise, dass hierbei unendlich viele Teilwellen [ gemeint sind sinusförmige, d.h. unteilbare Wellen ] miteinander spielen, so dass sie sich praktisch überall im Raum wechselseitig auslöschen ... Die klassische Bahn von Teilchen ist eine Folge dieses Prinzips."