Sind supersymmetrische Ansätze der Teilchenphysik
sinnvoller als nur eichsymmetrische?
Unter einer
Eichtheorie versteht man eine physikalische Feldtheorie, die einer lokalen Eichsymmetrie genügt (was bedeutet,
dass die von der Theorie vorhergesagten Wechselwirkungen sich nicht ändern, wenn eine bestimmte Größe lokal frei gewählt wird).
In der Quantenmechanik etwa werden Teilchen nicht mehr durch Ort und Impuls, sondern durch die sogenannte Wellenfunktion ψ(x,t) beschrieben.
Sie ist ein Feld, also eine — i.A. komplexwertige — Funktion von Raum und Zeit.
Eindeutig aber ist sie keineswegs, denn
für jedes reele φ beschreiben ψ(x,t) und eiφ ψ(x,t) denselben Zustand.
Es handelt sich hier um eine globale Symmetrie ( mathematisch gegeben durch die Lie-Gruppe U(1), denn die besteht gerade aus allen komplexen Zahlen e
iφ ).
Das Problem mit den Eichtheorien ist, dass sie
- nicht eindeutig sind
- und auf unendlich große Zwischenergebnisse führen, die durch Renormierung zurechtgestutzt werden müssen, damit die Theorie der Realität entsprechende Aussagen macht.
Zudem gibt es unendlich viele mögliche Eichtheorien, und diejenigen, die man auswählt, die Wechselwirkungen der Physik zu beschreiben, müssen ad hoc zurechtgestutzt werden, damit sie mit den
Beobachtungen der realen Welt übereinstimmen.
Schlimmer noch: Die Eichtheorien sagen nichs darüber aus, wie viele verschiedene Arten von Teilchen es geben sollte.
Die Physiker würden statt der Eichtheorien gerne eine eindeutige Theorie haben, die klar dazu Stellung nimmt, wie viele Teilchenarten es gibt.
Ein Schritt hin zu einer Theorie mit diesen Eigenschaften wurde 1974 mit der Erfindung der sog.
Supersymmetrie getan.
Ausgangspunkt war die Frage, wie eine vollkommen symmetrische Welt beschaffen sein müsse, in der jedem Fermion ein Boson mit gleicher Masse entsprechen würde.
In der Natur beobachten wir solche Symmetrie nicht, aber das könnte man damit erklären, dass die Symmetrie gebrochen wurde wie im Fall der elektroschwachen Wechselwirkung.
Brechung der Symmetrie tritt immer dann ein, wenn der symmetrische Zustand instabil, der gebrochen symmetrische aber stabil ist:
Quelle: Crashkurs in Quantenmechanik
Die gezeigte Situation wäre symmetrischer, wenn die Kugel auf der Bergspitze läge — die Lage aber ist nicht stabil.
Mathematisch ergeben sich Möglichkeiten, Supersymmetrien zu beschreiben, die möglicherweise zu Beginn des Urknalls bestanden, dann aber gebrochen wurden mit dem Effekt,
dass die uns bekannten Teilchen kleiner Masse entstanden, während ihre Superpartner — Teilchen mit sehr großer Masse — sich schon bald in einen Schauer leichterer Teilchen aufgelöst haben.
Um heute Superteilchen zu erzeugen müssten wir Bedingungen schaffen wie zu Beginn des Urknalls. Die dazu notwendigen hohen Energien aber lassen sich heute selbst im CERN noch bei weitem nicht erzeugen.
Man bräuchte dazu Teilchenbeschleuniger von mindestens der Größe unseres Sonnensystems.
Man sieht: Das alles ist noch mit sehr viel WENN und ABER versehen, weist aber doch einen großen Pluspunkt auf:
Es gibt verschiedene Spielarten einer supersymmetrischen Feldtheorie. Sie alle variieren das Thema durch Einschränkungen der Symmetrie, was ur Folge hat, dassvso eine Theorie dann auch nur
eine begrenzte Anzahl verschiedener Teilchenarten zulässt: Einge Versionen enthalten hunderte, doch andere lassen sehr viel weniger zu, und keine der Theorien sagt voraus, dass die Zahl der
fundamentalen Teilchen unendlich sein könnte.
Das beste aber ist:
Supersymmetrische Theorien kommen ohne Renormierung aus, erfordern also keine Verletzung von Regeln der Mathematik.
Das wäre gut, aber die Physiker wissen, dass da noch etwas fehlt — sie wissen nur nicht was.
Verschiedene supersymmetrische Theorien stimmem recht gut mit den verschiedenen Erscheinungen der realen Welt überein, aber keine erklärt alles.
Besondere Erwähnung verdient eine, die man die N = 8 Superschwerkraft nennt:
Ihr liegt ein hypothetisches Boson zugrunde, das Graviton, welches die gravitative Wechselwirkung vermittelt.
Es wird begleitet von
- 8 weiteren Teilchen (daher N = 8), die man Gravitinos nennt,
- 56 Materieteilchen (vor allem Quarks und Elektronen)
- sowie 98 weiteren Teilchen, die nicht-gravitative Wechselwirkung vermitteln (Photonen, Gluonen und andere Bosonen)
Das ist eine große Menge verschiedener Teilchen, aber die Theorie sagt sie voraus und lässt keine weiteren zu.
Wie energiereich die Gravitinos seien, sagt die Theorie nicht. Es könnte sich um geisterhafte Teilchen mit extrem wenig Masse handeln, die praktisch nie mit irgend etwas wechselwirken.
Andererseits könnten sie aber auch extrem massereich sein, so dass Menschen wohl nie werden Beschleuniger bauen können, die hinreichend viel Energie bereitstellen, sie zu erzeugen und zu beobachten.
Die Problem sind immens, doch für supersymmetrische Theorien spricht mindestens, dass sie widerspruchsfrei sind und endlich und keinerlei Renormalisierung bedürfen.
Sie vermitteln den Physikern das Gefühl, mit ihnen auf der rechten Spur zu sein.
Wie aber kann es je gelingen, sie zu überprüfen?
Dieses Punktes wegen nimmt die Kosmologie, die ja das gesamte Universum zu erforschen sucht, heute solch gewaltigen Aufschwung.
Heinz Pagels — geschäftsführender Direktor der New Yorker Akademie der Wissenschaften — sage 1983 (Zitat):
Wir sind bereits in die Ära der Physik nach dem Beschleuniger eingetreten. Für sie wird die gesamte Geschichte des Universums zum Prüfstand der fundamentalen Physik.
Uns so widmen sich die Kosmologen heute mit nicht geringem Eifer auch der Teilchenphysik ...
Quelle: John Gribbin: Auf der Suche nach Schrödingers Katze — Quantenphysik
und Wirklichkeit, Piper 2004, S. 282-286.
Was Supersymmetrie (SUSY) wahrscheinlich macht
Warum man sich heute vor allem auf supersymmetrische Varianten der Stringtheorie konzentriert — warum man also glaubt, die Physik unserer Welt müsse supersymmetrisch sein —, liegt vor allem daran, dass man
nachrechnen konnte, dass die Kopplungskonstanten der starken Wechselwirking (rot), der schwachen Wechselwirkung (grün) und der elektromagnetischen Kraft (violett)
mit steigender Energie
nur dann konvergieren, wenn Supersymmetrie gegeben ist:
Quelle: DESY
Supersymmetrische Teilchen haben sich bisher hartnäckig ihrer Entdeckung entzogen. Es stellt sich daher die Frage, ab welchem Zeitpunkt die experimentellen Fakten so stark gegen SUSY sprechen,
dass man sich trotz all ihrer Vorzüge nach etwas anderem umschauen muss.
Wann also kann man sagen, dass SUSY (Supersymmetrie) falsifiziert wurde?
Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, da SUSY eine gebrochene Symmetrie sein muss (ansonsten hätten die Superpartner die gleichen Massen wie die Teilchen des Standardmodells
und wären schon lange beobachtet worden). Wie der Übergang von voller zu gebrochener SUSY vor sich gegangen sein könnte, ist noch unverstanden.
Verzichtet man in der Stringtheorie auf Supersymmetrie, so sagt sie
Tachyonen voraus (Teilchen, die sich grundsätzlich nur schneller als Licht bewegen).
Erst die Superstringtheorie garantiert, dass keine Tachyonen involviert sind und gewährleistet die Erhaltung des wertvollen und bisher immer verifizierten Kausalitätsprinzips ('Ursache kommt vor der Wirkung').