» Synchronicity « nach Carl Gustav Jung
Der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung (1875-1961) war einer der ersten, der sich wissenschaftlich mit dem
Thema der unwahrscheinlichen Zufälle im Menschenleben auseinander gesetzt hat.
Er prägte dafür den Ausdruck »
Synchronizitäten ( = Synchronicity ) «.
Seine grundlegende Abhandlung darüber erschien 1952 und trägt den Titel
Naturerklärung
und Psyche — Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge.
Bis heute spielt diese Schrift für die Psychologie und einige esoterische Disziplinen eine große Rolle [
da ja Jung seinen Synchronizitätsbegriff in der Auseinandersetzung mit dem chinesischen I-Ging-Orakel und der Astrologie gewonnen hat. ]
Ausführlich diskutiert hat er ihn aber
über insgesamt 26 Jahre hinweg auch mit
Wolfgang Pauli (Quantenphysiker und Nobelpreisträger). Der Grund hierfür:
Pauli hatte schon früh an sich
phsychokinetische Fähigkeiten — von Kollegen als » Pauli-Effekt « gefürchtet — entdeckt,
die ihn verwirrten und im Zusammenhang mit seiner Scheidung sowie dem Tod seiner Mutter in eine innere Krise führten,
die zu überwinden er sich bei Carl Gustav Jung zu einer Therapie anmeldete.
Jung gab diese Anfrage an eine Praktikantin weiter, begann aber mit Pauli ein intensives Gespräch über die physikalischen und psychologischen Hintergründe von Paulis außergewöhnlichen Erfahrungen.
Jung verstand Synchronicity in erster Linie als Beziehung eines inneren Ereignisses mit einem zeitnah darauf folgenden äußeren Geschehen, welches
- sinnhaft mit dem inneren Geschehen verbunden,
- aber nicht physikalisch-kausal davon verursacht wird.
Pauli selbst erzählt:
Als er einmal im Cafe Odeon in Zürich aus dem Fenster sah und ein vor dem Haus geparktes rotes Auto anstarrte, ging dieses plötzlich in Flammen auf und brannte aus.
Für Pauli war das kein Zufall, sondern ein synchronistisches Ereignis.
Auch Jung selbst schien zeitweise eine psychokinetische Ausstrahlung gehabt zu haben — vor allem während seiner Zusammenarbeit mit Freud.
In seiner Autobiographie
Erinnerungen, Träume, Gedanken (1997) erzählt
Jung:
"Während Freud seine Argumente vorbrachte, hatte ich eine merkwürdige Empfindung. Es schien mir, als ob mein Zwerchfell aus Eisen bestünde und glühend würde —
ein glühendes Zwerchfellgewölbe. Und in diesem Augenblick ertönte ein solcher Krach im Bücherschrank, der unmittelbar neben uns stand, daß wir beide furchtbar erschraken.
Wir dachten, der Schrank fiele über uns zusammen. Genauso hatte es getönt. Ich sagte zu Freud: 'Das ist jetzt ein sog. katalytisches Exteriorisationsphänomen'.
'Ach', sagter der, 'das ist ja leibhaftiger Unsinn'.
'Aber nein', erwiderte ich, 'Sie irren, Herr Professor. Und zum Beweis, daß ich recht habe, sage ich nun voraus, daß es gleich nochmal einen Krach geben wird.'
Und tatsächlich: Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, begann der gleiche Krach im Schrank!
Ich weiß heute noch nicht, woher ich diese Sicherheit nahm. Aber ich wusste mit Bestimmtheit, dass das Krachen sich wiederholen würde.
Freud hat mich nur entsetzt angeschaut."
Noch mehr über den Briefwechsel zwischen Pauli und Jung findet sich zusammengetragen durch Remo F. Roth.
Sehr lesenswert ist zudem das Buch von
Arthur I. Miller: 137: C. G. Jung, Wolfgang Pauli und die Suche nach der kosmischen Zahl (2011),
einem emeritierten Professor für Geschichte und Philosophie der Naturwissenschaften am University College in London. Er macht uns klar:
Für Jung gab es in der Welt des Bewusstseins nicht nur
"konstanten Zusammenhang durch Wirkung (Kausalität)", sondern auch
"inkonstanten Zusammenhang durch Kontingenz bzw. Ähnlichkeit (Synchronizität)". Dies wäre selbstverständlich,
würde man das Wort "inkonstant" durch "zufällig" ersetzen.
So weit aber wollten weder Pauli noch Jung gehen. Darüber hinaus waren sie unterschiedlicher Ansicht:
- Jung verstand Synchronizität als eine Art "Anordnung", vermöge derer "Ähnliches" koinzidiert, ohne dass eine Ursache hierfür feststellbar wäre. Er sah keinen Grund, warum Synchronizität immer nur Koinzidenz
zweier physischer Zustände oder eines physischen Zustandes mit einem nicht-physischen Ereignis sein sollte. Fasziniert war er von Paulis Beispiel des radioaktiver Zerfalls von Atomkernen, der nicht rein zufällig sein kann,
da ja jedes radioaktive Element eine für seine Art typische mittlere Zerfallszeit hat.
- Für Pauli unterschied sich Synchronizität eindeutig von physikalischen Vorgängen.
In einem Brief an Jung — dem vom 23.6.1950 — schrieb er, dass er im Gegensatz zu seinen Kollegen die Quantenmechanik als unvollständig erachte und ihre Verschmelzung mit der Psychologie für notwendig erachte.
Er habe "keinen Mangel an noch nicht assimilierten Gedanken" hierzu.
1952 erschien das von Pauli und Jung gemeinsam publizierte Buch
Naturerklärung und Psyche
=
[2]
= Paulis Aufsatz »
Der Einfluss archetypischer Vorstellungen
auf die Bildung naturwissenschaftlicher Theorien bei Kepler «
und Jungs Schrift über »
Synchronizität «.
Arthur I. Miller stellt fest: »
Für Pauli liefen hier alle Fäden seiner Arbeit zusammen — seine Vorträge über Kepler und Fludd, seine Träume und Gespräche mit Jung
und auch sein Briefwechsel mit Fierz: ein Thema, über das er 25 Jahre lang nachgedacht hatte. «
Zusammenfassend lässt sich sagen:
In der Lehre von C.G. Jung und teilweise auch in Wolfgang Paulis Überlegungen hat
das mittelalterliche kosmologische Weltbild — welches seinen Höhepunkt in der
Darstellung
von
Robert Fludd gefunden hatte und an dem erstmals Fludds lautstarkem Kritiker
Johannes Kepler Zweifel kamen —
seine letzte deutliche Spur in der wissenschaftlichen Welt hinterlassen.
Am 25.12.1954 schrieb Pauli an Fierz: »
Auf den Astralkult von Jungs Umgebung pfeife ich, aber [...] diese Traumsymbolik gibt den Ausschlag! Das [ gemeinsam mit Jung publizierte ] Buch selbst ist eine schicksalhafte Synchronizität
und muss bleiben. Ich bin sicher, dass [ es nicht veröffentlicht zu haben ] schlimme Folgen für mich hätte. Dixi et salvavi animan meam! [ Ich habe gesprochen und meine Seele gerettet. ] «
Heute (im 21. Jahrhundert) gehören Synchronizität und Archetypen nicht mehr zu unserem Überzeugungskanon.
Ebensowenig glauben Quantenphysiker heute noch, dass erst das bewusste Betrachten eines Quantensystems durch ein Lebewesen zum Kollaps seiner Wellenfunktion führe.