Wissenschaft





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Etwas Wissenschaftstheorie

   





D i s k u s s i o n


 Beitrag 0-185
Mit was genau befasst sich z.B. Natur- oder Geisteswissenschaft?

 
 

 
Klassifikation der Gegenstände von Wissenschaft

 
 
Recht oft wird behauptet, der Unterschied zwischen den Geisteswissenschaften und den Naturwissenschaften bestünde darin, dass
     
  • Naturwissenschaft sich mit der Natur befasse,
     
  • Geisteswissenschaft aber mit den Erzeugnissen des menschlichen Geistes.

Wer sich nun aber klar macht, dass selbst die Physik nur darüber sprechen kann, wie sich der Mensch die Wirklichkeit vorstellt — aber nicht wissen kann, wie sie wirklich funktioniert —, dem wird klar, dass auch Naturwissenschaft nur Dinge zum Gegenstand haben kann, die menschlicher Geist erzeugt.
 
Wie also, so wird man dann fragen, grenzt sich Naturwissenschaft tatsächlich ab gegen die Geisteswissenschaften?
 
Sinnvoll scheint folgende Antwort:
     
  • Naturwissenschaft ist ein systematisches Beobachten, Erforschen und Vorhersagen des Verhaltens der Natur. Sie befasst sich mit Realität (d.h. mit der Menschen Vorstellung von der Wirklichkeit).
     
  • Geisteswissenschaft befasst sich mit Kreationen des menschlichen Geistes, die dieser Geist um ihrer selbst willen erschaffen hat (Kunst, Literatur, Musik).
     
  • Religionswissenschaft befasst sich mit Fragen über durch manche Menschen vermutete Wirklichkeit sowie mit der Geschichte des Entstehens dieser Vorstellungen.
     
  • Geschichtswissenschaft befasst sich mit der Realität unserer Vergangenheit.
     
  • Mathematik ist Werkzeug und gemeinsame Schnittmenge aller Natur- und Geisteswissenschaften.

 
 
Lies mehr zu Naturwissenschaft und Natur.

 

 Beitrag 0-377
Über Wissenschaft und die Skeptiker-Bewegung

 
 

 
Wer argumentiert, wie die Skeptiker-Bewegung es sich angewöhnt hat,

macht sich als Wissenschaftler unmöglich

 
 
Mitglieder der Skeptiker-Bewegung sehen sich als selbsternannte Hüter der Wahrheit.
 
Sie haben nicht gelernt zu unterscheiden, was persönliche Überzeugung einerseits und wissenschaftliches Ergebnis andererseits ist.
 
Diesen Unterschied zu kennen ist für Wissenschaftler aber unabdingbar: Schließlich argumentieren sie ja an der Grenze aller wissenschaftlichen Erkenntnis. Ihre zentrale Aufgabe ist das Hinausschieben dieser Grenze unter der Nebenbedingung, dass nichts, was Wissenschaft als erwiesen einstuft, falsch sein darf.
 
 
 
Liebe Ute,
 
Deine Beiträge auf guteFrage.net legen mir nahe, dass du ein wirklich guter, kompetenter Physiker und Astrophysiker bist: Du kennst die derzeitige Lehrmeinung ganz genau.
 
Viele deiner Antworten auf meine Beiträge legen mir aber auch nahe, dass dir zum Wissenschaftler wenigstens noch die Fähigkeit — und vielleicht auch der Wille? — fehlt, absolut objektiv zu denken: Du verwechselst deine eigene Überzeugung und die derzeit vorherrschende   »  M e i n u n g  «   wichtiger Personen allzu oft mit dem, was Wissenschaft schon beweisen konnte.
 
 
Die Geschichte der Wissenschaften kennt zahlreiche Fälle, in denen sich die damals vorherrschende Lehrmeinung später als ganz gewaltiger Irrtum erwies.
 
Bekanntes Beispiel — gerade erst mal 100 Jahre alt — ist die von Fachleuten zunächst als "mit Sicherheit falsch" eingestufte Theorie des Kontinentaldrifts.
 
Sie sollte warnendes Beispiel sein für dich und die Skeptikerbewegung.

 
 
Warum ignorierst du solche Beispiele?
 
 
Ohne Beweis kann selbst die feste Überzeugung fast aller noch falsch sein.

 
 
Max Planck gilt als Inbegriff eines objektiv denkenden Wissenschaftlers. Er kam zu einem Ergebnis, an das er selbst nicht so recht glauben wollte. Einzig und allein die Tatsache, dass es ihm logisch einwandfrei hergeleitet erschien, hat ihn bewogen, es zu veröffentlichen. Wie wir heute wissen, hat es die Physik — und nicht nur sie — weit dramatischer, weit schneller und deutlich nachhaltiger vorangebracht, als jedes andere wissenschaftliche Ergebnis zuvor. Daher:
 
Sich als Wissenschaftler Max Planck zum Vorbild zu nehmen macht deutlich mehr Sinn als Richard Dawkins zu folgen. Zu argumentieren wie er ist eines ehrlichen Denkers nicht würdig.
 
 
 
Kein Argument anderer für eine Theorie als überzeugend einzustufen, widerlegt sie noch lange nicht.


 

 Beitrag 0-455
Wie auch Wissenschaftler gelegentlich nur Pseudowissenschaft propagieren

 
 

 
Wie sich Wissenschaft von Pseudowissenschaft unterscheidet

 
 
Der Experimentalphysiker Richard A. Muller (geb. 1944, Doktorvater des späteren Nobelpreisträgers Saul Perlmutter) hat es gut auf den Punkt gebracht, indem er erklärt hat, warum man Arthur Eddingtons These, der Zeitpfeil hätte irgend etwas mit dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik zu tun, als etwas einzustufen hat, das schlimmer ist als Astrologie:
 
 
Eddingtons These ist nicht falsifizierbar!

 
 
Muller argumentiert wie folgt:


Richard A. Muller (2016):
 
Die theoretische Physik darf die Bodenhaftung nicht verlieren, sondern muss darauf bestehen, dass
     
  • Theorien falsifizierbar sind
     
  • und es für akzeptierte Theorien stets neu überprüfbare experimentelle Ergebnisse gibt.

Wie wichtig das ist, zeigt Einsteins Theorie zur Brown'schen Bewegung:
 
Schon kurz nach ihrer Veröffentlichung gab es eine Reihe von Experimenten, deren Resultat Einsteins Theorie zu widerlegen schienen. Es hat ganze 4 Jahre gedauert, bis klar wurde, dass diese Experimente fehlerhaft waren. Richtig durchgeführt haben sie Einstein schließlich bestätigt (was fast schlagartig dazu geführt hat, dass man Atome und Moleküle nun allgemein als tatsächlich existierend anerkannt hat).
 
 
Zu den Theorien, die nicht falsifizierbar sind, gehören Spiritualismus, Intelligent Design, aber eben auch der von Arthur Eddington behauptete Zusammenhang zwischen Entropie und Zeitpfeil.
 
Vermutlich fallen einem noch andere ein. Unter diesen kommt die Astrologie der Möglichkeit, sie durch Beobachtung zu widerlegen, noch am nächsten:
 
Ein sorgfältiges Expirement von Shawn Carlson (bei dem ich als wissenschaftlicher Berater mitwirkte und einen Teil meines Waterman-Preises zur Erstellung der astrologischen Karten verwendete) wurde veröffentlicht im angesehenen Wissenschaftsjournal Nature [Shawn Carlson: A double-blind test of Astrology, Nature 318, Dec 1985]:
 
Shawn überprüfte die Grundthese der Astrologie, wonach der genaue Geburtszeitpunkt im Zusammenhang mit Persönlichkeitsmerkmalen stehe. Sein Doppelblindversuch hat diese These klar widerlegt.
 
An der Studie beteiligt ware mehrer angesehene Astrologen aus der ganzen Welt. (Ja, es gibt solche tatsächlich, und die meisten von ihnen haben einen Doktortitel in Psychologie.)
 
Nachdem das Ergebnis der Studie jene Astrologen widerlegt hat, waren sie schockiert und enttäuscht, aber keiner von ihnen wandte sich deswegen von der Astrologie ab (!).
 
Wissenschaft hat die Astrologie demnach falsifiziert — womit man dann Astrologen, die dennoch weiter an sie glauben, als Pseudwissenschaftler bzw. Esoteriker einzustufen hat.
 


 
Muller erklärt weiter:
 
Eddington — und praktisch alle Autoren, die zwischen Entropie und Zeitpfeil einen Zusammenhang behaupten — argumentieren gerne mit dem Beispiel einer Teetasse, die vom Tisch fällt und dann am Boden im zahlreiche Stücke zerbricht. Wer den Vorgang filmt und sich den Film dann rückwärts abgespult ansieht, sehe klar, dass der Vorgang rückwärts in unserer Welt nicht vorkommt.
 
Aber, so sagt Muller, Menschen konstruieren ja Teetassen: Sie nehmen Ausgangsmaterialien, denen hohe Entropie innewohnt (ton-haltigen Schlamm), extrahieren daraus den Ton, verfeinern das Materiel und formen schließlich Teetassen. Würde man auch diesen Vorgang filmen und dann rückwärts abgespult betrachten, so dass man dann sähe, wie eine Teetasse zu Ton und im Wasser verdünnten Ton wird, wäre die Umkehr der Zeit offenkundig.
 
Eddingtons Denkfehler bestand also darin, dass er seine These mit Beispielen zu belegen versuchte, die allzu einseitig ausgewählt waren. Damit, so Muller, habe er uns (und sich selbst) hinters Licht geführt.
 
 
Wir sind umgeben von Beispielen abnehmender Entropie: Wir schreiben Bücher, bauen Häuser, gründen Städte. Kristalle wachsen, und Pflanzen bilden großartig organisierte Strukturen. Die Entropie eines Baumes etwa ist ungeheuer viel geringer als die von Gas, Wasser oder im Wasser gelösten Mineralstoffen, aus denen der Baum entstanden ist.
 
Auch im Weltraum können wir sehen, wie Entropie — lokal jedenfalls — stark abnehmen kann: Aus dem Urplasma haben sich erst Teilchen gebildet, dann ganze Sterne mit Planeten und schließlich sogar Lebewesen.
 
 
Quelle: Richard A. Muller:  Jetzt — Die Physik der Zeit  (2018), S. 217-236
 
Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel » Now. The Physics of Time « (2016)


 

  Beitrag 1595-37
Falsifizierbarkeit ist wünschenswert, darf aber nicht als notwendig erachtet werden

 
 

Praktikable Wissenschaftstheorie

muss mehr berücksichtigen als nur Poppers Forderung nach Falsifizierbarkeit



Hallo Irena,

in Beitrag 1595-28 vertritts Du die Meinung, dass Aussagen, die » kann « oder » können « enthalten, zwar sinnvoll, aber auf keinen Fall wissenschaftlich sein können, so etwa die (deiner Meinung nach unwissenschaftliche) Aussage

Schlechte Zähne können die Funktion der Lebers und/oder der Nieren beeinträchtigen.


Aber hast Du denn hierbei auch berücksichtigt, dass man dann fast alle Aussagen der Mediziner und Ärzte als unwissenschaftlich einstufen müsste? Und ganz bestimmt auch alles, was z.B. die Verträglichkeit neu entwickelter Arzneien mit dem menschlichen Organismus untersucht und beschreibt?

Oder wie steht es Ergebnissen, die Zoologen oder Archäologen erarbeiten? Soll all das keine Wissenschft sein, nur weil sich da kaum Falsifizierbares findet?

Mit anderen Worten:
  • Auch wer – wie offenbar wir beide – Poppers Forderung nach Falsifizierbarkeit wissenschaftlicher Aussagen ernst nimmt und als überaus sinnvoll einstuft,
  • darf auf keinen Fall den Fehler machen, sie als notwendiges Kriterium zu sehen für alles, das den Anspruch erhebt, wissenschaftliches Ergebnis zu sein.

Weit allgemeiner anwendbar ist eine Wissenschaftstheorie, die anerkennt, dass keineswegs alle Wissenschften  e x a k t e  Wissenschaften sein können und dass wissenschaftlich zu arbeiten deswegen i.A. einfach nur einem sinnvollen, rational begründbaren Überzeugungssystem zu folgen hat.

Ein solches sehe ich gegeben durch die von Thomas Bayes (1702-1761) formulierten Wahrscheinlichkeitsgesetze. Es kann und sollte überall zum Einsatz kommen, wo Poppers Forderung, Falsifizierbarkeit herzustellen, einfach nicht realistisch genug ist — uns also in eine Sackgasse führt.

Tegmark sagt ganz richtig:

In der Wissenschaft wird eher selten falsifiziert — in aller Regel werden Indizien gesammelt,
die geeignet sind, einer betrachteten Theorie zusätzliche Plausibilität zu verschaffen.


Bayes Ansatz ist gut geeignet, den Erfolg solchen Vorgehens quantifizierbar ( und somit objektiv beurteilbar ) zu machen.


Der Prozess wissenschaftlichen Vorgehens sieht dann so aus:
  • Für ein Phänomen, das man zu untersuchen wünscht, gibt es zunächst mal mehrere rivalisierende Erklärungen.
  • Daher beginnt man Beobachtungen zu sammeln, die für oder gegen solche Erklärungen sprechen.
  • Mit Hilfe der Mathematik des bayesschen Schließens wird dann die Evidenz für oder gegen jede einzelne dieser Theorien zu gewichten sein.
  • Schließlich wird die Theorie, für die sich so die höchste Wahrscheinlichkeit ergab (d.h. deren Evidenzgewicht durch die Daten und Beobachtungen am meisten zugenommen hat) als die eingestuft, an der es festzuhalten gilt.

Aber noch weitere Aspekte können so gut berücksichtigt werden:

  • Augenscheinlich unplausible, allzu weit hergeholt erscheinende Theorien erfordern besonders gewichtige Indizien, ehe sie ernst genommen werden können.
  • Auch alle recht vagen Theorien — solche, die zu allen möglichen Daten passen — erlangen nach dem bayesschen Schema nur mühsam wissenschaftliches Gewicht.
  • Auf jeden Fall hat dieser Ansatz den Vorteil, die Wissenschaftler zu drängen, systematisch Indizien zu sammeln und zu bewerten, und wie die Erfahrung uns zeigt, führt das in aller Regel auch wirklich zum Ziel: Die Wahrheit  k o m m t  heraus.

Kurz: Wegen seiner mathematischen Stringenz und vor allem wegen seiner weit höheren Praktikabilität, wird das systematische Anhäufen von Evidenz dem einfachen Ansatz Poppers weit überlegen sein (obgleich man natürlich Falsifizierbarkeit anstreben sollte, wo immer sie erreichbar scheint).

Mit besten Grüßen,
grtgrt

 

  Beitrag 1595-40
-

 
 
Bauhof in 1595-39:
Hallo Grtgrt,

1. Durch eine Theorie kann niemals "die Wahrheit herauskommen". Warum? Weil keine (physikalische) Theorie beweisbar ist, sondern nur widerlegbar. Auch wenn 1000 Experimente eine Theorie belegen, ein einziges Experiment kann sie später widerlegen.

2. Der Bayesche Ansatz mag zwar gut geeignet sein, herauszufinden, welche Theorie am wahrscheinlichsten die bessere Theorie ist. Aber primäre Grundvoraussetzung für die Wissenschaftlichkeit ist, dass eine (physikalische) Theorie an der Erfahrung scheitern können muss.


Im Prinzip, Eugen, gebe ich dir recht.

Aber was genau wäre denn nun wirklich ein Beweis? Wo immer man (auch in der Mathematik) zu "Beweisen" kommt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein nicht entdeckter Fehler eingeschlichen hat, nicht wirklich Null — sie kann nur beliebig klein gemacht werden.

In anderen Wissenschaften, etwa der Physik, ist dieses Verkleinern der Irrtumswahrscheinlichkeit viel schwieriger, und so spricht man dort nicht vom Beweisen der Theorie, sondern nur vom Belegen ihrer Richtigkeit: Man sammelt Indizien, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sie unter gewissen Voraussetzungen richtige Vorhersagen macht. Auch hier aber git, dass die Wahrscheinlichkeit für das Zutreffen der Theorie, dem Wert 1 beliebig nahe kommen kann, ihn aber natürlich nie erreicht (was umge­kehrt bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Theorie falsche Aussagen macht, zwar beliebig klein, aber niemals zu Null gemacht werden kann).

Der Unterschied zwischen Beweisen und Belegen ist demnach nur ein gradueller — aber natürlich dennoch ein ganz gewaltiger!

Gruß,
grtgrt
 

  Beitrag 1595-43
-

 
 
Hallo Irena,

leider habe ich stets nur über Poppers Theorie, aber nie seine Schriften selbst gelesen, und so weiß ich auch nicht, wie er den Begriff » wissenschaftlich « denn nun genau definiert.


Für mich jedenfalls ist Wissenschaft:
  • die systematische Suche nach Wissen mit Hilfe einer Methodik, die Fachleute auf dem betreffenden Gebiet als State of the Art (oder wenigstens als nicht schon komplett überholt) einstufen.
  • Ergebnis solcher Suche kann sein
         
      • Die Dokumentation einer Entdeckung,
      • der Beweis eines vermuteten Zusammenhangs,
      • aber auch das systematische Beleuchten einer Vermutung — einer » Theorie « —, die zu beweisen oder zu widerlegen zunächst nicht gelingt.
      Im letzten Fall werden Forschungsgelder nur dann fließen, wenn der Wissenschaftler auch klar zu machen versteht, wie hoch in etwa die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Theorie richtig sein könnte und dass es sich lohnt, sie weiter auszuarbeiten.
      Wo der Autor selbst das Für und Wider zu wenig diskutiert, hat Peer Review diese Lücke zu füllen.


    Nun zu deinem Beispiel, in dem du argumentierst, die beiden folgenden Aussagen wären von gleicher Qualität:


    (1)  Schlechte Zähne  k ö n n e n  die Funktion der Leber und/oder der Nieren beeinträchtigen.

    (2)  Es regnet oder es regnet nicht.


    Sie sind aber  k e i n e s w e g s  von gleicher Qualität, denn:
    • Aussage (2) ist ohne Inhalt, also garantiert nicht wissenschaftlich.
    • Aussage (1) aber erlaubt die dazu völlig äquivalente Formulierung
    (3)  Für jeden, der schlechte Zähne hat, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass hierdurch die Funktion seiner Leber
    oder seiner Nieren beeinträchtigt wird.

      Sobald man (3) durch Vorlage statistischer Daten untermauert — man die angesprochene Wahrscheinlichkeit also quantifizieren kann —, handelt es sich ganz klar um eine Entdeckung, die man als wissenschaftliches Ergebnis einzustufen hat.

    Formulierungen wie (1) und (3) muss man als  H i n w e i s  auf die Entdeckung werten: Solche Formulierungen werden typischerweise dort gebraucht, wo ein Fachmann einen Laien zu informieren wünscht. Den Fachmann wegen der Verwendung solch grober Formulierung dann gleich als unwissenschaftlich agierend zu beschimpfen, ist unangebracht.



    Irena in 1595-38:
    Grtgrt in 1595-37:
     
    Schließlich wird die Theorie, für die sich so die höchste Wahrscheinlichkeit ergab (d.h. deren Evidenzgewicht durch die Daten und Beobachtungen am meisten zugenommen hat) als die eingestuft, an der es festzuhalten gilt.

    Ich bin froh, dass sich kein Wissenschaftler von einem Computer sagen lässt, wie er sich verhalten soll.


    Grtgrt in 1595-37:
     
    Aber noch weitere Aspekte können so gut berücksichtigt werden:

    Augenscheinlich unplausible, allzu weit hergeholt erscheinende Theorien erfordern besonders gewichtige Indizien, ehe sie ernst genommen werden können.

    ... Dazu benötigen wir unser Gehirn, nicht den Computer.
     


    Wo Theorien zu bewerten oder gegen einander abzuwägen sind, wird man sie selbstverständlich — und vor allem — auch hinsichtlich ihres Evidenzgewichts miteinander vergleichen. Ich habe nirgendwo gefordert, dass diesen Vergleich ein Computer durchzuführen hat. Deine Kritik meiner Aussagen geht also völlig ins Leere!


    Irena in 1595-38:
    Grtgrt in 1595-37:
     
    Auf jeden Fall hat dieser Ansatz den Vorteil, die Wissenschaftler zu drängen, systematisch Indizien zu sammeln und zu bewerten, und wie die Erfahrung uns zeigt, führt das in aller Regel auch wirklich zum Ziel: Die Wahrheit  k o m m t  heraus.

    Unsinn. Eigentlich, wenn ich dieses Ansatz nicht lächerlich gefunden hätte, dann würde ich es als äußerst gefährlich einstufen.
    Aber vor allem ist dieser Ansatz völlig sinnlos, ...
     


    Darauf kann ich nur antworten: Ich kann nicht erkennen, was am Sammeln von Indizien sinnlos, lächerlich oder gar gefährlich sein soll.

    Einen Beweis zu haben ist selbstverständlich viel besser, als nur Indizien zu haben.
    Wir sollten aber bedenken, dass sich ein Beweis i.A. erst dann ergibt, wenn uns hinreichend viele Indizien gezeigt haben, wie er zu führen sein könnte.


    Gruß,
    grtgrt
     

      Beitrag 1595-44
    -

     
     
    Bauhof in 1595-41:
    Grtgrt in 1595-37:
     
    Bayes Ansatz ist gut geeignet, den Erfolg solchen Vorgehens quantifizierbar ( und somit objektiv beurteilbar ) zu machen.

    Hallo Grtgrt,

    für mich viel einleuchtender ist der Ansatz von Karl Popper.


    Hallo Eugen,

    natürlich finde auch ich Poppers Ansatz gut — aber ich sehe halt auch, dass er allzu oft gar nicht anwendbar ist, und für diese Fälle braucht man eben einen allgemeineren.

    Paradebeispiel hierfür sind die sog. "nicht exakten" Wissenschaften, aber auch die moderne theoretische Physik, die sich nun schon seit Jahrzehnten auch mit Theorien beschäftigt, die wir wohl niemals werden falsifizieren können, die aber dennoch von vielen als enorm fruchtbar eingestuft werden.

    Zudem erscheint mir Poppers Ansicht, jeder Wissenschaftler habe so viel Distanz zu seinem Tun, dass er nur darauf brenne, die eigene Theorie abzuschießen, als etwas weltfremd. Die Philosophin Rebecca Goldstein schrieb mal irgendwo ganz richtig, dass Forschung in Wirklichkeit anders ablaufe, so nämlich, dass man
    • vor allem versucht, Theorien zu finden, die funktionieren,
    • und nur im Ausnahmefall damit beschäftigt sein will, die Theorien anderer zu falsifizieren.

    Und in der Tat: Hat denn schon mal auch nur  e i n  Stringtheoretiker ernsthaft versucht, die Ansätze der Vertreter der Quantengravitation zu falsifizieren? Und das gar noch erfolgreich?


    Nicht zuletzt sehe ich mich mit meiner Ansicht in guter Gesellschft mit Colin Howson, den man als führenden Verfechter eines Wissenschaftsbegriffes kennt, der nicht auf simpler Wahr-oder-Falsch-Logik beruht, sondern auf dem viel subtileren Konzept der Glaubens- und Überzeugungsgrade (degrees of believe).

    Seine Theorie nur spannt — in meinen Augen — auf realistische,  s t e t s  anwendbare Weise den richtigen Bogen zwischen
    • dem subjektiven Begriff mehr oder weniger großer Überzeugung einerseits und
    • dem harten, gut belastbaren Begriff der mathematischen Wahrscheinlichkeit andererseits.

    Gruß,
    grtgrt
     

      Beitrag 1595-48
    Beispiel einer vorbildlich präzisierten wissenschaftlichen Vorhersage

     
     
    An Irena:

    Hier ein besonders schönes Beispiel einer wissenschaftlichen Aussage


    Zitat:
    Zum Beispiel schätzte Laplace die Masse des Saturns auf Basis vorhandener astronomischer Beobachtungen seiner Umlaufbahn.

    Er erläuterte die Ergebnisse zusammen mit einem Hinweis seiner Unsicherheit:

    » Ich wette 11.000 zu 1, dass der Fehler in diesem Ergebnis nicht größer ist als 1/100 seines Wertes. «


    Laplace hätte die Wette gewonnen, denn 150 Jahre später musste sein Ergebnis auf Grundlage neuer Daten um lediglich 0,37 % korrigiert werden.

    Quelle: Wikipedia


    Dort steht noch mehr über die Nützlichkeit von Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen im Wissenschaftsbetrieb:

    Zitat:
     
    Der bayessche Wahrscheinlichkeitsbegriff wird häufig verwendet, um die Plausibilität einer Aussage im Lichte neuer Erkenntnisse neu zu bemessen. Pierre-Simon Laplace (1812) entdeckte diesen Satz später unabhängig von Bayes und verwendete ihn, um Probleme in der Himmelsmechanik, in der medizinischen Statistik und, einigen Berichten zufolge, sogar in der Rechtsprechung zu lösen.

     

      Beitrag 1595-51
    -

     
    Irena in 1595-49:
    Grtgrt in 1595-46:
    Poppers Kriterium aber zielt auf etwas ganz anderes: Es zielt darauf, eine Theorie, die falsch ist, möglichst früh — und dann sogar endgültig — als falsch erkennen zu können.
    Na ja , da muss du mit ihm näher befassen. Sonst ist es aus dem Finger gezauberte These, die entspricht nicht der Tatsache und zeigt, dass du mit dem Thema hast deine Hausaufgaben nicht gemacht. Es geht ihm nicht "möglichst früh" die falsche Theorie wegräumen. Es geht ihm um eine prinzipielle Möglichkeit eine Theorie zu falsifizieren. Erst dadurch bescheinigt er ihr eine Wissenschaftlichkeit.

    Hallo Irena,

    das sich Grtgrt näher mit Karl Popper befassen müsste, da stimme dich dir zu. Er hat bisher (nach eigenem Hinweis) keine einzige Schrift von Karl Popper gelesen, sondern nur Schriften über Karl Popper.

    Aber nichtsdestotrotz stimme ich Grtgrt zu, wenn er schreibt:

    Zitat:
    Poppers Kriterium zielt darauf ab, eine Theorie, die falsch ist, möglichst früh und dann sogar endgültig als falsch erkennen zu können.

    Auch dir stimme ich zu, wenn du schreibst:

    Zitat:
    Es geht ihm um eine prinzipielle Möglichkeit eine Theorie zu falsifizieren. Erst dadurch bescheinigt er ihr eine Wissenschaftlichkeit.

    Aber ich würde es umgekehrt ausdrücken:
    Eine Theorie, die nicht falsifizierbar ist, ist unwissenschaftlich.

    Euch beiden kann ich dieses Buch [1] von Karl Popper wärmstens empfehlen. Es ist sehr gut als Einstieg in Poppers Gedankenwelt geeignet. Sein Hauptwerk würde ich nicht empfehlen, das ist zu schwierig. Dazu würde man profunde philosophische Kenntnisse benötigen. Ich selbst habe vor dem Hauptwerk kapituliert und es wieder verkauft.

    M.f.G. Eugen Bauhof

    P.S.
    Ich meine, etliche Missverständnisse in dieser Diskussion haben auch ihren Grund darin, dass deine Muttersprache russisch ist. Aber es ist trotzdem eine große Leistung von dir, überhaupt über ein solch schwieriges Thema in deutsch zu diskutieren.

    [1] Popper, Karl R.
    Vermutungen und Widerlegungen.
    Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis. Teilband I: Vermutungen.
    Tübingen 1994
    ISBN=3-16-944809-9
     

      Beitrag 1916-7
    Warum man versuchen sollte, eine Theorie zu widerlegen, bevor man sie als Unsinn einstuft

     
     
    An alle (und besonders an E...):

    Mein Prinzip ist das von Feynman, d.h.

    Solange eine Theorie nicht schlüssig widerlegt ist,

    sollte man sie nicht lächerlich machen (oder als esoterisch einordnen),

    sondern man sollte Gründe finden, die dazu geeignet sind, sie als widerlegt zu betrachten.



    Karl Popper bemerkt ganz richtig: Es ist einfacher, eine Theorie zu widerlegen, als sie zu beweisen.

    Meine Konsequenz daraus: Wer nicht mithelfen will, sie zu widerlegen, der schweige wenigstens.

    Beste Grüße,
    Gebhard Greiter (grtgrt)
     

      Beitrag 1916-9
    Was Karl Popper wirklich gesagt hat (1)

     
     
    Okotombrok aus 1916-8:
     
    Zitat von Grtgrt:
     
    Karl Popper bemerkt ganz richtig: Es ist einfacher, eine Theorie zu widerlegen, als sie zu beweisen.

    Das scheint aus dem Gedächtnis zitiert zu sein, gesagt hat er

    Zitat von Karl Popper:
     
    Ein Satz (oder eine Theorie) ist dann und nur dann empirisch wissenschaftlich, wenn er falsifizierbar ist.
    Popper, Karl: Handlexikon zur Wissenschaftstheorie. München, Deutscher Taschenbuchverlag, 2. Auflage 1994. Seite 82


    Man sollte nur in Ausnahmefällen aus dem Gedächtnis zitieren. Erst ein ordentliches Zitat mit Quellennachweis ermöglicht es dem Leser, die Aussage im Kontext zu verstehen und überhaupt erst zu überprüfen.
     


    Ich grüß’ dich, Okotombrok,

    ja, du hast recht, ich habe nur sinngemäß zitiert (eben aus dem Gedächtnis), und zudem gebe ich dir recht: Besser wäre ein wörtliches Zitat. Das aber erfordert, jene Stelle auch wirklich zu finden. Nun arbeite ich aber leider in keiner Umgebung, die mir einfachen Zugriff auf entsprechende Literatur gewähren würde. Die meisten Bücher, die ich gelesen habe, waren ausgeliehen. Sie nochmals einzusehen, könnte mich sehr viel Zeit kosten — Zeit, die ich nicht habe.


    Da man mir (ebenfalls in diesem Forum) schon mal vorgeworfen hat, ich würde zu viel zitieren und zu wenig selbst nachdenken, sei an dieser Stelle festgestellt:

    Um einzusehen, dass es einfacher ist, eine Theorie zu widerlegen als zu beweisen, muss man nicht unbedingt wissen, was Popper denn nun wortwörtlich gesagt hat.

    Die Theorie etwa, "Alle Menschen haben rote, blonde oder schwarze Haare"
    • ist widerlegt, sobald man eine Person gefunden hat, die entweder Glatzkopf ist oder schlohweißes Haar hat.
    • Umgekehrt würde eine Bestätigung der These erfordern, die Haarfarbe sämtlicher Menschen festzustellen — was praktisch unmöglich ist.

    Beste Grüße,
    grtgrt
     

      Beitrag 1916-12
    Was Karl Popper wirklich gesagt hat (2)

     
     
    Henry aus 1916-10:
    Grtgrt aus 1916-7:
     
    Karl Popper bemerkt ganz richtig: Es ist einfacher, eine Theorie zu widerlegen, als sie zu beweisen.

    Herr Popper bezieht sich auf Theorien, die eine experimentell bestätigte Basis haben, und nicht auf Theorien, die sich weder beweisen noch widerlegen lasse.
     

    Hi Henry,

    die Tatsache, dass ich keine Gänsefüßchen gesetzt habe, zeigt, dass ich nur sinngemäß zitiert habe.

    Und weiter: Glaubst du wirklich, dass Popper den Gedanken in dieser einfachen Form, in der ich ihn mir gemerkt habe, nicht auch gedacht hat?

    Desweiteren bin ich der Meinung: Was andere sagen — und seien sie noch so berühmt — soll uns vor allem Anregung sein, weiter zu denken. Welchen Sinn sollte es machen, dort stehen zu bleiben, wo ihnen die Kräfte ausgingen? Ihr Verdienst ist, uns den ersten Teil des Weges erspart zu haben — von jener Haltestelle dann weiter gehen müssen wir schon selbst (auch sie würden von uns sonst nur enttäuscht sein).

    Beste Grüße,
    grtgrt
     

      Beitrag 2035-187
    Was Karl Popper wirklich gesagt hat (3)

     
     
    Bauhof aus 2035-183:
     
    Eine Theorie in der Physik ist nicht beweisbar, sondern nur widerlegbar (Karl Popper).

    Hi Eugen,

    wenn Popper davon spricht, dass nur widerlegbare Theorien Sinn machen, will er damit keineswegs sagen, dass eine Theorie nicht beweisbar sein kann.
    Es geht ihm vielmehr darum, dass man als Theorie nur etwas bezeichnen sollte, dessen Wahrheit  e n t s c h e i d b a r  ist (prinzipiell wenigstens).

    Hätte man nämlich eine Theorie, die weder beweisbar noch widerlegbar ist, wäre die ja absolut nutzlos.

    Beispiel einer beweisbaren — und gerade deswegen NICHT widerlegbaren — Theorie ist z.B. die Ansicht "Die Quadratwurzel aus 625 ist 25". Sie ist
    • zutreffend,
    • beweisbar
    • nicht widerlegbar
    • und ganz sicher eine Theorie für jeden, der sich noch keinen Beweis dafür überlegt hat.

    Popper spricht wohl auch nicht von "widerlegbar" sondern von "falsifizierbar" und meint damit:


    Sollte die Theorie falsch sein, muss es möglich sein, ein Gegenbeispiel zu finden — einen Beweis dafür, dass sie falsch ist.


    Gruß, grtgrt