Religion-und-Naturwissenschaft





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Die großen Religionen dieser Welt

   





D i s k u s s i o n



 Beitrag 0-246
Was ist Religion?

 
 

 
Was ist Religion?
 
 
Religion ist der — stets individuell geprägte — Versuch,
 
selbst dort noch Antworten zu finden, wo Wissenschaft und nackte Logik sie ganz prinzipiell nicht geben können.


 

 Beitrag 0-273
Wie sich — nach Heisenberg und Planck — Religion von Naturwissenschaft unterscheidet

 
 

 
Was Religion von Naturwissenschaft unterscheidet

 
 
Auf der Solvay-Konferenz 1927 — so erinnert sich Heisenberg — wurde er einmal von gleichaltrigen Kollegen gefragt:
 
Es gibt doch Äußerungen von Planck über das Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft, in denen er die Ansicht vertritt, dass es keinen Widerspruch zwischen beiden gebe — sie also sehr wohl miteinander vergleichbar seinen.
 
Heisenberg erinnert sich, darauf in etwa wie folgt geantwortet zu haben:


Werner Heisenberg:
 
Ich vermute, dass für Planck Religion und Naturwissenschaft deswegen vereinbar sind, weil sie, wie er voraussetzt, sich auf ganz verschiedene Bereiche der Wirklichkeit beziehen:
     
  • Die Naturwissenschaft handelt von der objektiven materiellen Welt. Sie stellt uns vor die Aufgabe, richtige Aussagen über die objektive Wirklichkeit zu machen und ihre Zusammenhänge zu verstehen.
     
  • Die Religion aber handelt von der Welt der Werte. Hier wird von dem gesprochen, was sein soll, was wir tun sollen, nicht von dem, was ist.

 
In der Naturwissenschaft geht es um richtig oder falsch,
 
in der Religion aber um gut oder böse, um wertvoll oder wertlos.

 
 
Die Naturwissenschaft ist die Grundlage des technisch zweckmäßigen Handelns, die Religion aber die Grundlage der Ethik.

 


 
Quelle: Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze (1969), S. 116-117.


 

 Beitrag 0-274
Objektiv, subjektiv, und Religion: Wie Niels Bohr darüber dachte

 
 

 
Niels Bohr über

objektiv, subjektiv und Religion

 
 
Bohr warnte davor, der Wissenschaft absolute Objektivität zu bescheinigen oder — umgekehrt — religiöse Darstellungen als Märchen abzutun:

 


Niels Bohr ( 1927 in einem Gepräch mit Heisenberg nach dessen Erinnerung ):
 
Man muss sich vor allem darüber klar sein, dass in der Religion die Sprache in einer ganz anderen Weise gebraucht wird als in der Wissenschaft. Die Sprache der Religion ist mit der Sprache der Dichtung näher verwandt als mit der Sprache der Wissenschaft.
 
Man ist zwar zunächst geneigt zu denken, in der Wissenschaft handle es sich um Informationen über objektive Sachverhalte, in der Dichtung um das Erwecken subjektiver Gefühle. In der Religion ist objektive Wahrheit gemeint, also sollte sie den Wahrheitskriterien der Wissenschaft unterworfen sein. Aber mir scheint die ganze Einteilung in die objektive und die subjektive Seite der Welt hier viel zu gewaltsam.
 
Wenn in den Religionen aller Zeiten in Bildern, Gleichnissen und Paradoxien gesprochen wird, so kann das kaum etwas anderes bedeuten, als dass es eben keine anderen Möglichkeiten gibt, die Wirklichkeit, die damit gemeint ist, zu ergreifen.
 
Aber das heißt nicht, dass sie keine echte Wirklichkeit sei.
 
Mit einer Zerlegung dieser Wirklichkeit in eine objektive und eine subjektive Seite wird man nicht weit kommen.
 
Daher empfinde ich es als eine Befreiung unseres Denkens, dass wir aus der Entwicklung der Physik zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelernt haben, wie problematisch die Begriffe » objektiv « und » subjektiv « sind.
 
Das hat ja schon mit der Relativitätstheorie angefangen: Früher galt die Aussage, dass zwei Ereignisse gleichzeitig seien, als objektive Feststellung. Heute aber wissen wir, dass zwei Ereignisse, die in den Augen eines Beobachters gleichzeitig stattfinden, für zu ihm bewegte Beobachter keineswegs gleichzeitig stattfinden müssen.
 
Und doch ist die relativistische Beschreibung insofern objektiv, als jeder Beobachter durch Umrechnung ermitteln kann, was ein anderer Beobachter wahrnehmen wird bzw. wahrgenommen hat.
 
Immerhin, vom Ideal einer objektiven Beschreibung im Sinne der klassischen Physik, ist das ja nun schon ein Stück weit entfernt.
 
 
Die objektive Welt der Naturwissenschaft vor 1900 war — wie wir jetzt wissen — ein idealer Grenzbegriff, aber nicht Wirklichkeit.
 
Es wird zwar auch in Zukunft bei jeder Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit notwendig sein, die objektive und die subjektive Sicht zu unterscheiden, d.h. einen Schnitt zwischen beiden Seiten zu machen. Aber die Lage dieses Schnittes kann von der Betrachtungsweise abhängen und kann bis zu einem gewissen Grad willkürlich gewählt werden.
 
Daher scheint es mir auch durchaus begreiflich, dass über den Inhalt von Religion nicht in einer objektivierenden Sprache gesprochen werden kann. Die Tatsache, dass verschiedene Religionen solchen Inhalt in unterschiedlichen geistigen Formen zu gestalten versuchen, bedeutet keinen Einwand gegen den wirklichen Kern der Religion.
 
Es sind eher komplementäre Betrachtungsweisen, die — wenn wörtlich genommen — einander ausschließen, die aber doch erst in ihrer Gesamtheit einen Eindruck vom Reichtum vermitteln, der von der Beziehung der Menschen zu einem größeren Zusammenhang ausgeht.

 


 
Quelle: Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze (1969), S. 122-124.

 
 
Note: Bohr hat — wie Einstein auch — an keinen persönlichen Gott geglaubt. Umso erstaunlicher ist, dass er — im Gegensatz zu Atheisten — religiöse Aussagen nicht grundsätzlich als sinnlos verwarf. Er glaubte an einen umfassenden Sinnzusammenhang, der sich in solchen Aussagen äußern könne.
 
Konkret hat er das (1927, Heisenberg gegenüber) ausgedrückt wie folgt:
 
    "Von jeder bewusst vollzogenen Entscheidung geht für den Einzelnen eine Kraft aus, die ihn in seinem Handeln leitet, ihm über Unsicherheiten hinweghilft und ihm, wenn er leiden muss, den Trost spendet, den das Geborgensein in dem großen Zusammenhang gewähren kann. So trägt die Religion zur Harmonisierung des Lebens in der Gemeinschaft bei, und es gehört zu ihren wichtigsten Aufgaben, in ihrer Sprache der Bilder und Gleichnisse an den großen Zusammenhang zu erinnern." ( S. 117)
     
    "Auch dieser Sinnzusammenhang gehört zur Wirklichkeit, ebenso wie die naturwissenschaftliche Bedingtheit, und es wäre wohl eine viel zu grobe Vereinfachung, wenn man ihn ausschließlich der subjektiven Seite der Wirklichkeit zurechnen wollte."
    (S. 118)


 

 Beitrag 0-276
Die Metaphysik des Niels Bohr (auch anwendbar auf religiöse Aussagen)

 
 

 
Zur Metaphysik des Niels Bohr

 
 
Niels Bohr — Mitbegründer der Quantenphysik — liebte besonders den Schluss von Schillers Gedicht » Spruch des Konfuzius «, der da lautet:
 
 
» Nur die Fülle führt zur Klarheit, und im Abgrund wohnt die Wahrheit. «

 
 
Bohr erklärte wie folgt, warum der diesen Spruch so treffend findet:


Niels Bohr (1952, wie Heisenberg sich erinnert):
 
Die Fülle ist hier die Fülle der Erfahrung, aber auch die Fülle der Begriffe, die wir verwenden, um quantenphysikalische Phänomene zu beschreiben und zu deuten:
 
Nur dadurch, dass man über die merkwürdigen Beziehungen zwischen den formalen Gesetzen der Quantentheorie und den beobachteten Phänomenen immer wieder mit verschiedenen Begriffen spricht, sie von allen Seiten beleuchtet, ihre scheinbaren inneren Widersprüche sich bewusst macht, kann die Änderung in der Struktur des Denkens bewirkt werden, die Voraussetzung für ein Verständnis der Quantentheorie ist.
 
Es wird doch z.B. immer wieder gesagt, dass die Quantentheorie unbefriedingend sei, weil sie nur gestattet, Quanten anhand der sich doch eigentlich ausschließenden Begriffen » Welle « und » Teilchen « zu beschreiben.
 
Und so ist die Quantentheorie Beispiel dafür, dass man einen Sachverhalt in völliger Klarheit verstanden haben kann und gleichzeitig doch weiß, dass man nur in Bildern und Gleichnissen von ihm reden kann.
 
Die Bilder und Gleichnisse sind — im Fall der Quantentheorie — klassische Begriffe wie etwa » Welle « und » Korpuskel «. Sie passen nicht genau und widersprechen einander. Und trotzdem kann man, da man bei der Beschreibung der Phänomene im Raum der natürlichen Sprache bleiben muss, sich nur mit diesen Bildern dem wahren Sachverhalt nähern.
 
Wahrscheinlich ist es bei anderen Problemen der Philosopie ganz ähnlich:
 
Wir sind gezwungen, in Bildern und Gleichnissen zu sprechen, die nicht genau das treffen, was wir meinen. Wir können gelegentlich sogar Widersprüche nicht vermeiden, aber wir können uns doch mit diesen Bildern dem wirklichen Sachverhalt nähern: Der Wahrheit, die im Abgrund wohnt [wie im unendlich tiefen Trichter eines Schwarzen Lochs].
 


 
Quelle: Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze (1969), S. 284-285.


 

 Beitrag 0-302
Was Wissenschaft über Religion zu sagen weiß (bzw. heute sagt)

 
 

 
Was Wissenschaft über Religion zu sagen weiß

 
 
Einige Gelehrte behaupten, schon in den ersten Anfängen des Judentums habe man Gott vorrangig als zukünftiges Sein betrachtet. Dies ginge zurück auf die Stelle in der Bibel, in der Gott aus dem brennenden Dornbusch zu Moses sprach und der ihn nach seinem Namen fragte. Die in Hebräisch formulierte Antwort Gottes soll gelautet haben: » Ehyeh Asher ehyeh. « (wörtlich ins Deutsche übersetzt: ICH WERDE SEIN, DER ICH SEIN WERDE) und weiter: » So sollst du zu den Iraeliten sagen: Der ICH WERDE SEIN hat mich zu euch gesandt. «
 
Der deutsch-jüdische Philosoph Ernst Bloch ebenso wie der katholische Schweizer Theologe Hans Küng wiesen beide darauf hin, dass dies die korrekte Übersetzung darstellt und der Gott Mose somit als "End- und Omega-Gott" aufzufassen sei.
 
Heutige Theologen neigen zur Ansicht, die Physik könne sich nur mit endlich absehbarer Realität befassen, während die endgültige Realität — sollen wir sagen die Wirklichkeit? — ihrem Wesen nach unendlich sei (vergleichbar dem Grenzwert einer konvergenten unendlichen Reihe von Zahlen).
 
 
Frank J. Tipler ist einer der ganz wenigen Physiker, die dies nicht gelten lassen wollen und glauben, dass die Physik sich durchaus ebenfalls mit dem Unendlichen — d.h. dem Grenzwert von allem, was absehbar ist, befassen könne.
 
Die Mehrzahl zeitgenössischer Naturwissenschaftler aber möchte sich auf so eine Diskussion gar nicht erst einlassen, wie sich recht deutlich daran zeigt, dass das Council of the US National Academy of Sciences in einer Resolution vom 25.8.1981 festhielt:

 
 
» Religion und Wissenschaft sind getrennte, einander ausschließende Bereiche des menschlichen Denkens,
 
deren Darstellung in ein und demselben Zusammenhang zu einem falschen Verständnis
 
sowohl der wissenschaftlichen Theorie als auch des religiösen Glaubens führt. «

 
 
Tipler unterstellt Wissenschaftlern, die sich zu dieser Aussage bekennen, sie würden Religion als Gefühlsduselei einordnen, die bei so manchem einfach nur Ausdruck seiner Furcht vor dem Tode sei. [ Meiner Ansicht nach geht Tipler mit diesem Vorwurf zu weit — es gibt ja schließlich auch tief religiöse Naturwissenschaftler, die aber dennoch nicht glauben, dass religiöse und naturwissenschaftliche Aussagen von vergleichbarer Qualität seien.]
 
 
Dennoch scheint mir, dass Tipler Recht haben könnte mit seiner Ansicht, dass auch dieser Beschluss der Akademie sich als eine Theorie erweisen könnte, die irgendwann — und dann auch aus gutem Grunde — aufgegeben werden muss.
 
Er weist ganz richtig darauf hin, dass Antworten, die die Wissenschaft gibt, immer nur wahrscheinlich wahr sind.
     
  • Das bekannteste Beispiel ist die heliozentrische Theorie des Sonnensystems: Erstmals in der Antike vom griechischen Astronomen Aristarchos von Samos entwickelt, wurde sie zu Beginn der christlichen Epoche zugunsten des geozentrischen Modells des Ptolemäus verworfen — bis Nikolaus Kopernikus (1543) sie dann doch wieder als die richtige erkannte.
     
  • Ein weiteres Beispiel liefert die Medizin des 19. Jahrhunderts: Sie hat eine ältere Theorie — wie man damals dachte für alle Zeiten — verworfen; eine Theorie der Entstehung von Entzündungen, deren Ächtung der Chirurgie in ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts massive Rückschläge beschert hat. Die postoperative Sterblichkeitsrate stieg sprunghaft an, nachdem man Ausbrennen der Wunden mit dem Brenneisen oder Desinfektion mit kochenden Flüssigkeiten als Irrweg erkannt zu haben glaubte. Erst Pasteur, Lister und andere griffen schließlich wieder auf die ältere, richtigere Theorie zurück.

 
Ob nun allerdings Tiplers Versuch, eine Physik der Unsterblichkeit zu begründen, Sinn macht, scheint mir mehr als fraglich: Immerhin denkt Tipler, seine — wie er glaubt rein physikalische — Theorie würde implizieren, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass Er, Gott, existiert (als Grenzwert der Evolution des Universums), wir einen freien Willen haben und Er uns ewiges Leben nach dem Tode schenken könne.
 
Sein Buch: Frank J. Tipler: The Physics of Immortality (1994), in Deutsch: Die Physik der Unsterblichkeit, DTV (1995).
 
 
Note: Tipler ist ein durchaus anerkannter Physiker und Kosmologe. Seine Vorhersagen über der Menschen Möglichkeit, das gesamte Universum zu besiedeln, scheinen mir dennoch mehr Science Fiction denn ernsthafte Wissenschaft. Er scheint theoretische Konstrukte wie die Von-Neumann-Sonde — eine von John v. Neumann erdachte, hypothetische Maschine, die jede andere Maschine, auch weitere von-Neumann-Sonden, ohne fremde Hilfe nur aus im All vorgefundenen Rohstoffen herstellen kann — für etwas noch im 21. Jahrhundert wirklich Realisierbares zu halten (und das sogar noch in Form von Nanotechnologie).
 
Diese Vision beschreibt er ab S. 73 der deutschen Ausgabe seines Buches.
 


 

 Beitrag 0-452
Religion — Wie Markus Gabriel sie erklärt

 
 

 
Religion — Wie Markus Gabriel sie erklärt

 
 
Ohne die Religion wäre es niemals zur Metaphysik, ohne die Metaphysik niemals zur Wissenschaft und ohne die Wissenschaft niemals zur Mehrzahl aller Erkenntnisse gekommen, die wir heute formulieren können.
 
Was sich in diesem Prozess ereignet, ist nicht einfach nur als Aufklärung einzuordnen:

 
Die Moderne ist nicht durch einen Abbau von Religion gekennzeichnet, sondern durch eine Erweiterung unseres Freiheitsverständnisses:
 
Es ist dem Menschen in der Moderne aufgegangen, dass dass er Geist ist und dass dieser Geist eine Geschichte hat.

 
 
Diese Dimension war ihm vorher verborgen oder nur ansatzweise zugänglich.
 
Deswegen darf man die Anerkennung des Geistes und seiner Geschichte auch nicht als prä-modern oder gar als Rückschritt denunzieren. Schon Religion beruht auf einer Anerkennung des Geistes.
 
 
Natürlich gibt es unsinnige Formen von Religion, bloßen Aberglauben und manipulative Sekten. Es gibt aber auch defiziente Formen der Wissenschaft, wissenschaftlichen Irrtum, ohne den es keinen wissenschaftlichen Fortschritt gäbe.
 
Nur weil eine menschliche Haltung davon bedroht ist, Pathologien auszubilden, folgt daraus nicht, dass man sie abschaffen sollte.
 
Denn die Eliminierung des Geistes wäre selbst Geist in seiner schlechtesten Form — Geist in der Form seiner eigenen Verleugnung.
 
Die Frage, ob es Gott gibt, muss man daher sehr viel umsichtiger angehen, als plumpe Sekten oder Neoatheisten es tun.

 
Wer sich mit der Gottesfrage unabhängig von der Geschichtlichkeit des Geistes befasst,
 
verfehlt die Frage eigentlich schon.

 
In der Religion geht es um den Menschen und um seine Verortung in einen Sinnzusammenhang.

 
 
 
Quelle: Markus Gabriel: Warum es die Welt nicht gibt, Ullstein 2013, S. 212-213