Quantenkosmologie








D i s k u s s i o n



 Beitrag 0-57
Martin Bojowalds quantenkosmologische Entdeckung

 
 

 
Quantenkosmologie

 
 
Als Quantenkosmologie bezeichnet man den Zweig der modernen Kosmologie, der neben Einsteins Theorie auch die Gesetze der Quantentheorie mit dazu heranzieht, das Universum als Ganzes zu beschreiben. Siehe etwa Zehs Vortrag Warum Quantenkosmologie?
 
Kurz gesagt:
 
 
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die Theoretische Physik gelernt, auf zwei großen, starken Beinen zu stehen:
  • Quantentheorie beschreibt sehr zutreffend das Verhalten von Objekten im subatomaren Bereich,
  • wohingegen Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie (sprich: seine Gravitationstheorie) sich als Experte für das Verhalten astronomisch großer Objekte erwiesen hat.

So zutreffend die Vorhersagen beider Theorien für den jeweils genannten Größenbereich sind, sie widersprechen sich, wo man Objekte betrachtet, die weder extrem klein noch extrem groß sind. Man denkt deswegen, dass beide Theorien unterschiedliche Grenzfälle einer noch nicht entdeckten allgemeineren Theorie sein müssen. Sie zu finden sieht die Theoretische Physik seit etwa 1950 als ihre vordringlichste Aufgabe.
 
Es gibt bisher zwei Ansätze zu jener Theorie zu kommen:
  • die eher zufällig entdeckte Stringtheorie einerseits (an der während der letzten Jahrzehnte stets etwa 1000 Physiker arbeiteten)
  • und eine Theorie, die man als Schleifen-Quantengravitation bezeichnet (an der aber wohl nie mehr als 150 Forscher ernsthaft arbeiteten).
Seit nun aber der junge deutsche Physiker Martin Bojowald — so etwa 2002 — einen Weg fand, ausgehend vom Modell der Schleifenquantengravitation die Mathematik danach zu befragen,
  • wie es zum Urknall gekommen sein könnte
  • und welche physikalischen Gesetze gegolten haben könnten,  b e v o r  es zum Urknall kam,
scheint ein Verfolgen des Ansatzes der Schleifenquantengravitation mindestens so wichtig zu sein wie weitere Arbeiten zur Stringtheorie, denn:
 
Die Urknalltheorie kann nur die  F o l g e n  des Urknalls zu erklären, nicht aber dessen  U r s a c h e . In dieser Hinsicht nun hat Bojowald der Physik einen völlig neuen Weg gewiesen. Seine Erkenntnis:
 


Bojowald ( S. 306, etwas gekürzt ):
 
Die Schleifen-Quantengravitation liefert  i m m e r  eine Zeit vor dem Urknall (nicht aber einen Startpunkt des Universums vor endlicher Zeit).
 
Sie scheint demnach klar parteiisch zu sein in der Frage, ob physikalische Prinzipien eher ein lineares oder eher ein zyklisches Weltbild favorisieren.
 
Sie bringt zudem etwas völlig Neues mit ins Spiel: kosmische Vergesslichkeit:

     
    Für viele Größen (wie etwa die Gesamtgröße des Universums oder die Expansions- und Kontraktionsraten) durchläuft das Universum einen deterministischen Prozess, der frei von Singularitäten ist und eine eindeutige Geschichte liefert.
     
    Wenn man aber frägt, ob man im Prinzip von allen Eigenschaften des Universums im Vorgängerzyklus im Nachhinein durch Beobachtung Kenntnis erlangen kann, so wird man enttäuscht:
     
    Es gibt Eigenschaften — wie etwa die Größe von Quantenfluktuationen —, die man später im Folgezyklus nicht mehr aus Beobachtungen rekonstruieren kann.
     
    Hierin als besteht das neue Element [ kosmische Vergesslichkeit ], das überraschenderweise in der Schleifen-Quantenkosmologie auftritt. Damit ist das Bild nicht rein zyklisch, sondern hat auch einen nicht zyklischen Anteil.

       
    • Es gibt also Eigenschaften, die nach jedem Urknall einen frischen Neustart bedeuten,
    • und es gibt andere Eigenschaften, die jeden solchen Knall durchwandern  o h n e  vergessen zu werden.

     
    Mathematisch hergeleitete Details der Quantenkosmologie ergeben damit neue Prinzipien (in diesem Fall eine Mischung aus zyklischem und linearem Weltbild), die trotz aller Phantasie [ der Vertreter von Philosphie und Physik über die letzten 2.500 Jahre hinweg ] vorher nie aufgetaucht sind.

 
Der weitere Ausbau dieser Bilder — so schreibt Bojowald — sei zur Zeit in rasantem Fortschritt begriffen und das insbesondere auch im Hinblick auf mögliche Beobachtungen.
 


 
Quelle:
 
Gebhard Greiter meint dazu:
  • Sollte Bojowalds Theorie kosmischer Vergesslichkeit richtig sein, würde das bedeuten, dass Universen, wenn sie sterben und neu geboren werden, sich transformieren wie bilologische Lebewesen, die ja auch zahlreiche ihrer Eigenschaften — wenn nicht sogar die meisten (wie mindestens grob ihr Aussehen und ihre Funktionsweise) — auf jeden Fall an ihre Nachkommen vererben, die aber doch auch stets über Eigenschaften und Fähigkeiten verfügen, die sie nur als Exemplar, aber nicht als Gattung haben.
     
     
     
    Vor Bojowald waren kosmogonische Vorstellungen (Vorstellungen darüber, wie unsere Welt entstanden sein könnte) nur in der Mythologie vorzufinden.
     
    Im Lichte von Quantenkosmologie werden sie nun Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung. Man wundere sich also nicht, dass Bojowald entsprechende alte Texte
    zu lesen scheint und gelegentlich daraus zitiert — ganz so, wie im Zuge jeder gründlichen Diskussion der modernen Atomtheorie ja auch stets darauf hingewiesen wird, dass an sie erinnernde Ideen bis auf die Vorsokratiker, in dem Fall Leukippos und seinen Schüler Demokrit (etwa 500 v.Chr.), zurückzuverfolgen sind.


     

 Beitrag 0-64
Ist unser Universum durch Quantenfluktuation entstanden (und dann also endlich)?

 
 

 
Quantenkosmologie:

Die Idee der Quanten-Universen

 
 
Es ist dies ein Versuch der Physiker, die Quantentheorie auf die letzte Domäne anzuwenden, die der Quantisierung bisher standgehalten hat: das Universum selbst.

 


Michio Kaku (2008):
 
Das Konzept der » Quantenkosmologie « scheint zunächst ein Widerspruch in sich selbst zu sein: Es bezieht sich ja die Quantentheorie auf die winzige Welt der Atome und Elementarteilchen, wohingegen die Kosmologie das ganze Universum umfasst.
 
Doch beachten Sie Folgendes: Im Augenblick des Urknalls war das Universum [ wenn es denn endlich sein sollte ] wesentlich kleiner als ein Elektron. Wenn nun aber Elektronen quantisiert werden müssen und das Universum einmal kleiner als ein Elektron war, dann muss auch das Universum in Überlagerungszuständen existieren können.
 
Die Kopenhagener Deutung aber erzeugt Komplikationen, wenn man sie auf das gesamte Universum anzuwenden versucht, da sich nach ihr nur etwas konkretisieren kann, was einen "Beobachter" hat, der seine Wellenfunktion "kollabieren" lässt. Dieser Beobachtungsprozess ist absolut notwendig, die makroskopische Welt zu definieren ...
 
Aber wie kann dass ein "Beobachter" von "außen" die Wellenfunktion des Universums zum Einstrurz bringen?
 


 
Hier zeigt sich, dass Kaku nicht so recht verstanden hat, was man unter dem sog. "Kollaps" der Wellenfunktion denn eigenlich zu verstehen hat. Zudem berücksichtigt er nicht, dass « falls ein Universum durch Quantenfluktuation entstehen kann « natürlich gleich mehrere so entstehen können und die einander dann "Beobachter" wären.
 
Kakus anschließende Behauptung, dass nur Everetts Viele-Welten-Theorie eine Lösung des Problems darstelle, ist demnach grundfalsch.
 
 
Und er schreibt ja selbst:

Michio Kaku (2008):
 
In der Quantenkosmologie begann das Universum als eine Quantenfluktuation des Vakuums, als eine winzige Blase im Raumzeitschaum. Die meisten Baby-Universen im Raumzeitschaum entstehen mit einem Urknall (Big Bang) und enden fast sofort wieder mit einem Riesenkollaps (Big Crunch): Wir sehen sie nie, weil sie so nur extrem klein und extrem kurzlebig sind. Sie tanzen ins Vakuum hinein und wieder heraus, so dass selbst das Nichts von Baby-Universen nur so brodelt — in einem Maßstab allerdings, der zu klein ist, um ihn mit unseren Instrumenten aufspüren zu können.
 
Aus irgend einem Grund aber existieren einige dieser Blasen länger und werden dann, wie etwa unser Universum, sehr groß, was Alan Guth veranlasst hat zu fragen » Is the Universe a Free Lunch? «.
 
In der Quantenkosmologie betrachten die Physiker statt der Schrödinger Gleichung die Wheeler-deWitt-Gleichung: So wie erstere die Wahrscheinlichkeit beschreibt, dass ein Objekt — ein Elektron etwa — sich an der oder jener Stelle im Raum beobachtbar macht, so beschreibt letztere die Wahrscheinlichkeit dafür, ein Universum wie das unsere in diesem oder jenem Zustand vorzufinden.
 
Besonders energisch hat Steven Hawking diesen Standpunkt vertreten: Unser Universum — so denkt er — sei ein ganz besonderes. Die Wellenfunktion des Universums mache es ganz besonders wahrscheinlich, die meisten anderen aber extrem unwahrscheinlich.
 
Im Grunde versucht Hawking, auf diese Weise die Inflationstheorie abzuleiten: Ein Universum, das sich inflationär ausdehnt sei wahrscheinlicher als andere.
 


Nun aber das eigentlich Interessante:

Michio Kaku (2008):
 
Die Theorie, unser Universum sei aus dem » Nichts « entstanden, mag ganz und gar unüberprüfbar erscheinen, ist aber gut verträglich aber mit den folgenden drei einfachen Beobachtungen:

     
  • Viele Physiker haben darauf hingewiesen, wie erstaunlich es sei, dass der Gesamtbetrag der positiven und negativen Ladungen sich in unserem Universum auf exakt Null summiert. Das aber wäre nicht verwunderlich, wenn es aus dem Nichts entstanden wäre (denn auch das Nichts hat ja keine Ladung).
     
  • Unser Universum hat Spin null. Kurt Gödel war viele Jahre bemüht, die Spins bekannter Galaxien zu addieren, um so zu sehen, ob unsere Welt nicht vielleicht doch Spin habe. Er fand kein Anzeichen dafür, und so glauben die Astronomen heute, dass sich der Gesamtspin unseres Universums auf null belaufe (was auch zur Folge hat, dass es kein Gödel-Universum sein kann).
     
    Und tatsächlich: Das Nichts hat keinen Spin, und so sollten auch Universen, die aus dem Nichts entstehen, keinen haben.
     
  • Wäre unser Universum tatsächlich aus dem Nichts entstanden, würde dies auch erklären, weshalb darin die Summe aller Energie, soweit man bisher messen konnte, scheinbar Null ist (wenn man die mit der Gravitation verbundene Energie als negativ sieht). Und tatsächlich: Sollte unser Universum endlich sein, müsste sich der Allgemeinen Relativitätstheorie zufolge, tatsächlich Null als Summe aller Energie ergeben. Auch die Inflationstheorie scheint darauf hinzudeuten, dass die Summe aller Energie unseres Universums erstaunlich gering, wenn nicht sogar Null ist.
     

Wir sehen also:
 
 
Es gibt etwas, das darauf hindeutet,
 
dass unser Universum tatsächlich nur endliche Größe haben könnte.

 
 
Quelle:
  • M. Kaku: Die Physik des Unmöglichen, Rowohlt 2008, Seite 310-313