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Unsere Welt zu verstehen:  Evolution Vielfalt



 Beitrag 0-397
 
 

 
Evolution ist beides:

divergent in entstehender Vielfalt,

aber konvergent in Richtung optimaler Lösungen
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Es ist tatsächlich so, als würde im recht buschigen Baum der Arten jeder Ast im Zuge seiner Fortentwicklung auch die bis dahin gemachten Erfahrungen anderer Äste mit berücksichtigen.
 
 
Dies seinen Kollegen klar zu machen hat Simon Conway Morris sein Buch » Jenseits des Zufalls « geschrieben.
 
Er widerspricht dort — unter Auflistuing vieler Beobachtungen — klar der Meinung von S.J. Gould, der denkt: » Wenn das Band des Lebens noch mal abliefe, so würde eine völlig andere Biosphäre entstehen, in der nichts auch nur entfernt Menschenähnliches aufkäme, und so müssen wir uns wohl damit abfinden, dass sich keine zwei Biospären im Universum sonderlich ähnlich sind. «
 
Morris ist ganz entschieden entgegengesetzter Meinung. Er schreibt: » Doch alles, was wir über Evolution wissen, deutet in die entgegengesetzte Richtung: Konvergenz ist allge­genwärtig, und die beschränkten Möglichkeiten des Lebens lassen das Aufkommen gewisser biologischer Eigenschaften und Typen sehr wahrscheinlich, wenn nicht sogar unvermeidlich erscheinen. Alle Erklärungen, warum auf keinem noch so weit entfernten Planeten irgend eine Entsprechung zum Homo Sapiens herumlaufen kann, gehen am Kern der Sache vorbei: Es geht nicht um den genauen Weg der Evolution, sondern um die Wahrscheinlichkeit, mit der sich jeder einzelne der sukzessiven Entwicklungsschritte vollziehen kann, die dann schließlich in unserem Menschsein kulminieren. «
 
Morris weiß sich mit dieser Meinung in guter Gesellschaft mit Robert Bieri, der schrieb: » Wenn wir jemals in der Lage sein werden, erfolgreich mit anderen denkenden Wesen außerhalb unseres Sonnensystems zu kommunizieren, werden sie weder Kugeln noch Pyramiden, weder Würfel noch Pfannkuchen sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach sähen sie uns erschreckend ähnlich. «
 
 
 
Note: Ganz erstaunlich ist, wie gut, was Morris und Bieri zu sehen glauben, zu dem passt, was Rupert Sheldrake vermutet: morphische Resonanz.
 
 
Wenn also richtig ist, was Morris feststellt, indem er sagt » Die Evolution kennt viele Wege, aber nur wenig Ziele «, so dürfte Sheldrake einer physikalischen Begründung dieser Tatsache recht nahe gekommen sein.
 
Hans-Peter Dürr erklärt sogar, wie morphische Resonanz ganz konkret vom elektromagnetischen Feld implementiert sein könnte. Man lese seinen Aufsatz Sheldrakes Vorstellungen aus dem Blickwinkel der modernen Physik, S. 224-249 im Buch Rupert Sheldrake in der Diskussion (1997).
 
 
 
 
Zwei besonders überzeugende Beobachtungen, die Morris nennt sind:
     
  • Es gibt im gesamten Baum der Evolution biologischer Lebewesen nur zwei grundsätzlich verschiedene Formen von Augen: Linsenaugen (wie wir sie haben) und Komplexaugen (wie Insekten sie haben). In jedem Ast des Baumes findet sich die eine dieser beiden Lösungen — ist aber auch immer ganz dediziert erst dort entstanden: Nie hat sich die eine Lösung in die andere umentwickelt. Beide Varianten sind auf unterschiedlichen Zweck hin optimiert, man könnte meinen vorausschauend (ein Komplexauge, das ebenso deutlich sehen kann wie unser Linsenauge, müsste nämlich einen Durchmesser von etwa 1 Meter haben).
     
  • Ein Beispiel gleicher Qualität findet sich im Reich der Pflanzen, wo sich zwei recht unterschiedliche Verfahren der Photosythese entwickelt haben: Der C4-Photosytheseweg ist biochemisch deutlich komplexer als der C3-Weg. Er ist so komplex, dass es schwer vorstellbar erscheint, er könne sich rein zufällig in mehr als nur einer Pflanzengruppe entwickelt haben. Tatsächlich aber ist er mindestens 31 Mal unabhängig von einander entstanden.
     
  • Dass eine extrem optimierte, extrem komplexe Lösung auch schon nahe der Wurzel des Evolutionsbaumes zu finden ist, zeigt der genetische Code (d.h. die allen Arten gemeinsame Codierungsvorschrift für DNA):
     
    Freeland und Hurst haben entdeckt (1998): » Der natürliche genetische Code weist Anzeichen einer Optimierung auf, die um zwei Größenordnungen optimaler ist als zuvor angenommen: In unserem Modell war unter einer Million zufällig erzeugter Codevarianten nur einer effizienter [...] als der natürliche Code — der genetische Code ist so etwas wie ein Sechser im Lotto. «
     
    Dieses Ergebnis wird noch erstaunlicher, wenn man sich vor Augen führt, dass die etwa 106 Codes, die Freeland und Hurst untersuchten, nur einen winzigen Bruchteil aller insgesamt denkbaren 1018 Codes darstellen.
     
    In einer Folgeuntersuchung stellten Freeland und seine Mitarbeiter fest, dass die Zahl der alternativen Codes, die unter Berücksichtigung aller bekannten Beschränkungen wirklich funktionieren können, vermutlich recht klein ist (und so etwa bei nur 270 000 liegt). Als sie dann noch die Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Aminosäuren berücksichtigten, kamen sie staunend zum Schluss, dass » die Wahl der Natur durchaus auf den besten aller möglichen Codes gefallen sein könnte. «
     
    Quelle: Steve Freeland & Laurence Hurst in Journal of Molecular Evolution, Vol 47 (1998) pages 238-248 and in Molecular Biology and Evolution, Vol 17 (2000), pages 511-518.

Wir sehen:
 
Wo optimale Lösungen benötigt werden,
 
kann die Evolution sogar extrem schnell konvergieren

und verlässt sich dann wohl nicht auf Zufall.

 
 
 
Überlegenswert:
 
Von Konvergenz spricht man, wo sich im Baum der Arten in unterschiedlichen Ästen und Zweigen die gleiche Lösung ergab — das aber erst, nachdem sich jene Äste und Zweige schon lange auseinander entwickelt hatten.
 
Nun sollte man aber bedenken: Solange wir die Ursache konvergenter Evolution nicht kennen, wissen wir natürlich auch nicht, worin genau sie besteht und ob nicht doch gleiche Formen in unterschiedlichen Zweigen identische Ursache haben — es könnte ja eine Ursache sein, die schon lange im Erbgut existent war (ganz so, wie ja auch die gleiche Form sämtlicher Blätter eines Kastanienbaumes schon in seiner DNA angelegt ist lange bevor viele der Zweige existieren, an denen sich jene Blätter dann wirklich aus je einer Knospe entfalten. Ist das, was man heute als Junk DNA einordnet, nicht vielleicht doch der Plan für Lösungen, die sich erst in ferner evolutionärer Zukunft entfalten werden? Kann die Evolution im Bedarfsfall vielleicht deswegen so erstaunlich schnell reagieren?
 
 
Interessant ist auch, dass man konvergente Evolution nicht nur hinsichtlich sich formender Materie beobachtet, sondern irgendwann sogar in Gesellschaftsstrukturen.
 
Eusoziale Gesellschaftsstruktur etwa ist nicht nur in Insektengruppen (Ameisen, Bienen, Termiten, Wespen) soweit wir wissen unabhängig entstanden, sondern auch bei den Garnelen und verschiedenen Säugern, insbesondere den Nacktmullen. [ eusozial = selbstlos, aber keineswegs immer freiwillig selbstlos ]
 
Fast identisch ist auch das gesellschaftliche Verhalten der Wale und der Elefanten.
 
 
 
Am Ende seines Buches weist Conway Morris ausdrücklich darauf hin, dass die so zahlreichen Beispiele für konvergente Evolution kein Argument gegen die vorherrschende Meinung seien, dass Anpassung der Motor der Evolution ist. Dennoch sei wohl den wenigsten klar, wie groß die Reichweite der Anpassung gerade auch im Bereich der Moleküle — im Bereich chemischer Evolution also — wirklich ist.
 
 
Morris betont auch: Das Phänomen der evolutionären Konvergenz weist darauf hin, dass die Zahl verfügbarer Alternativen strikt begrenzt ist, woraus man folgern müsse, dass die Evolution 99,999... Prozent des wahrhaft gigantischen Raumes aller theoretisch denkbaren biologischen Möglichkeiten gar nicht erkundet haben kann.
 
Wenn dem so ist, sei davon auszugehen, dass eine Erforschung der Art und Weise, wie die Evolution bestimmte funktionale Lösungen ansteuert, das Fundament einer allgemeingültigen Theorie der Biologie liefern könnte. Im Wesentlichen postuliere dieser Ansatz die Existenz von » Attraktoren « [ in dem Sinne, wie mathematische Chaostheorie sie kennt ].
 
Dies werfe die Frage auf, wie die unermessliche Weite des biologischen Möglichkeitsraumes tatsächlich durchmessen wird: Die Anzahl potentieller Sackgassen ist ja offensichtlich so riesig groß, dass eigentlich alle Zeit seit Anbeginn des Universums nicht ausreichen kann, unter den Abermillionen potentieller Lösungen die wenigen zu finden, die tatsächlich funktionieren. [ Morris erinnert hier an die skeptische Bemerkung von Fred Hoyle, er könne sich nicht vorstellen, dass ein Wirbelsturm, der über einen Schrottplatz hinwegfegt, einen Jumbojet zusammensetze. ]

 


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