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Unsere Welt zu verstehen:  Bewusstsein Phänomen



 Beitrag 0-431
 
 

 
Ist Bewusstsein als emergentes Phänomen

notwendige Folge extrem vernetzter Informationsverarbeitung?

 
 
Ein Tropfen Wasser ist nass — ein Eiskristall oder eine Dampfwolke aber sind es nicht, obgleich sie doch aus identischen Wassermolekülen bestehen. Warum? Einfach deswegen, weil die Eigenschaft der Nässe nur Folge einer bestimmten Anordnung der Wassermoleküle ist.
 
Es ergibt keinen Sinn zu sagen, ein einziges Wassermoekül sei nass, da das Phönomen der Nässe erst auftritt, wenn genügend Moleküle da sind, die sich in dem Muster angeordnet haben, das wir Flüssigkeit nennen.
 
Daher sind Festkörper, Flüssigkeiten und Gase sämtlich emergente Phänomene: Sie sind mehr als die Summe ihrer Teile, da bestimmte Anordnung jener Teile ihnen Eigenschaften gibt, die
     
  • keine Eigenschaften der Teilchen sind,
     
  • sondern von der Anordnung der Teilchen untereinander abhängen (und davon wie stabil sie sich zeigt).

Für Bewusstsein scheint Ähnliches zu gelten:
     
  • So löscht z.B. der Eintritt in den Tiefschlaf das Bewusstsein aus, indem er lediglich Teilchen neu anordnet.
     
  • Auf ähnliche Weise würde mein Bewusstsein verschwinden, wenn ich eingefroren würde.

Kurz: Bringt man eine Menge von Atomen oder subatomarer Teilchen zusammen, um irgend etwas zu bekommen, sei es nun Wasser oder ein Gehirn, dann treten neue Phänomene auf mit beobachtbaren Eigenschaften. Physiker studieren diese emergenten Eigenschaften sehr gerne und stellen fest: Häufig lassen sie sich beschreiben durch eine kleine Menge von Zahlen, die man messen kann — Größen, die etwas über die Zähflüssigkeit der Substanz aussagen, wie komprimierbar sie ist, etc.
    Wenn beispielsweise eine Substanz so dickflüssig ist, dass sie erstarrt, nennt man sie einen Festkörper, andernfalls ein Fluid.
    Und wenn ein Fluid nicht komprimierbar ist, bezeichnen wir es als Flüssigkeit, andernfalls aber als Gas oder als Plasma (je nachdem wie gut seine elektrische Leitfähigkeit ist).

Könnte es dann aber nicht auch entsprechende Messgrößen geben, welche das Bewusstsein beziffern?
 
Der italienische Neurowissenschaftler Giulino Tonini hat eine solche Größe vorgeschlagen. Er nennt sie integrierte Information Φ. Sie misst, wie viele unterschiedliche Teile eines Systems Einfluss auf einander nehmen. Genauer:
    Hat man einen Prozess P, der ein System S von Teilchen im Laufe der Zeit in einen neuen Zustand bringt, so quantifiziert seine integrierte Information Φ(S,P) das Unvermögen, den Vorgang in unabhängige Teile aufzuspalten:
     
    Wenn der zukünftige Zustand eines jeden Teils nur von dessen Vergangenheit abhängt, aber nicht auch von den Aktivitäten anderer Teile des Systems, so ist Φ(S,P) = 0 und S einfach nur Summe von einander unabhängiger Teilsysteme.

Giulinos » Integrated Information Theory (IIT) « sei — so schreibt Max Tegmark — die bisher präziseste Bewusstseinstheorie, die wir haben.
 
IIT ist nur für diskrete System definiert, die in einer endlichen Zahl von Zuständen vorkommen. Es können das Bits in einem Computerspeicher sein oder stark vereinfachte Neuronen, die entweder an oder aus sein können.
 
Das bedeutet leider, dass IIT noch nicht anwendbar ist auf die meisten physikalischen Systeme, die sich ständig verändern. So kann ja z.B. die Position eines Teilchens oder die Stärke eines Magnetfeldes unendlich viele Werte annehmen. Versucht man die IIT-Formel auf solche System anzuwenden, erhält man meist nur das wenig hilfreiche Ergebnis, dass Φ unendlich sei.
 
Quantensysteme können zwar diskret sein, aber auf für sie ist die IIT noch nicht hinreichend weit entwickelt.
 
Wie also lässt sich IIT dennoch auf angedachte Bewusstseinstheorien anwenden?
 
Nun: Wie Max Tegmark in Kapitel 2 seines Buches Leben 3.0 anhand von Beispielen zeigt, können Materieklumpen emergente Eigenschaften mit einem Bezug zu Information haben: Es kann langlebige Zustände geben, die zum Speichern von Information nutzbar sind, und außerdem kann es eine — mehr oder weniger abstrakte — "Substanz" geben (dann Computorium genannt), mit deren Hilfe sich — aufgrund ihrer Formbarkeit — Berechnungen ausführen lassen. Künstliche neuronale Netze (KNN) sind ein eindrucksvolles Beispiel für Computorium.
 
Diese Erkenntnis platziert unser bewusstes Erleben nicht nur eine, sondern gleich zwei Stufen über dem Niveau der Materie.
 
 
 
Was ermöglicht einem Klumpen Materie subjektives Erleben?

 
 
Mit anderen Worten: Unter welchen Bedingungen wird Materie in der Lage sein, folgende 4 Dinge zu vollbringen:
     
  • Sich erinnern
     
  • Rechnen
     
  • Lernen
     
  • Erleben

KI-System, wie sie heute (2019) existieren, haben ganz offensichtlich die ersten 3 dieser 4 Fähigkeiten. Aber werden sie irgendwann auch erleben können (= bewusst erleben können)?


Max Tegmark (ab S. 450 in Leben 3.0):
 
Ebenso wie Margolus und Toffoli (am MIT) unter dem Begriff Computorium alles zusammenfassen, was Berechnungen ausführen kann, möchte ich jetzt den Begriff Sentronium verwenden für jede "Substanz", die empfindungsfähig (englisch: sentient) ist.
 
Sollte Bewusstsein die Art und Weise sein, wie sich Informationen "anfühlen", wenn sie auf bestimmte Weise verarbeitet werden, dann muss Bewusstsein substrat-unabhängig sein.
 
Es ist dann nämlich allein die Struktur der Informationsverarbeitung, auf die es ankommt, nicht die Struktur der Mechanismen, welche die Informationsverarbeitung durchführen.
 
Anders ausgedrückt: Das Bewusstsein ist auf gleich doppelte Weise substrat-unabhängig:
     
  • unabhängig vom informationsverarbeitenden Mechanismus,
     
  • und erst recht unabhängig von der Materie, mit deren Hilfe er implementiert ist.

Wie wir gesehen haben, beschreibt die Physik Muster in der Raumzeit, die sich uns als sich umherbewegende Teilchen darstellen. Wenn die Teilchenanordnungen bestimmten Prinzipien gehorchen, führt das zu emergenten Phänomenen, die vom Teilchensubstrat weitgehend unabhängig sind und sich völlig anders "anfühlen", da sie ja nur der mehr oder weniger begrenzten Bewegungsfähigkeit der Teilchen wegen ergeben. Großartiges Beispiel hierfür ist die Informationsverarbeitung in Computronium.
 
 
Aber was sind denn nun die Qualitäten, welche Informationsverarbeitung haben muss, damit sie sich ihrer selbst bewusst wird?
 
Ich [Tegmark] werde nicht so tun, als würde ich sie alle kennen. Notwendig aber erscheinen mir mindestens folgende Kriterien:
     
  • Ein bewusstes System kann sehr viel Information speichern.
     
  • Ein bewusstes System kann ganz erhebliche Informationsmengen verarbeiten [ und auch weitgehend parallel verarbeiten ].
     
  • Ein bewusstes System ist hochgradig unabhängig vom Rest der Welt, kann aber nicht aus nahezu unabhängigen Teilen bestehen.

 
Was den Stand der Bewusstseinsforschung betrifft, so sei erwähnt, dass Giulio Toninis IIT von einigen begeistert begrüßt, von anderen aber vernichtend kritisiert wird. Einer der heftigsten Kritiker ist Scott Aaronson (man lese seine Blogposts 1799 und 1823).
 


 
Quelle: Max Tegmark: Leben 3.0 — Mensch sein im Zeitalter Künstlicher Intelligenz (2017)
 
Eine Einführung ins Konzept der künstlichen neueronalen Netze findet sich auf den Seiten 14-19 der Dissertation von Jörg Höhne (2007)
 
Max Tegmark: Consciousness as a State of Matter (2015)


 


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Kann sich auch in KI Bewusstsein herausbilden?


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