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Unsere Welt zu verstehen:  Präsenz Facebook



 Beitrag 0-417
 
 

 
Warum starke Präsenz in Facebook & Co Kindern schaden kann
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Manfred Spritzer, Chef der Psychiatrie im Universitätsklinikum Ulm, argumentiert wie folgt:


Manfred Spitzer ( 2012, gekürzt ):
 
Wer mit Anfang 20 schon viele Freunde hat, der kann seine sozialen Kontakte auch mittels Online-Dienstleistern wie Facebook weiter pflegen. Es wird ihm das ebenso wenig schaden wie der Gebrauch eines Computers zur Erlediging studentischer Referate.
 
Sofern sich aber noch in der Entwicklung befindliche Kinder der neuen Technik zuwenden, liegt der Fall anders: Hier werden ganz offensichtlich für eine gesunde Entwicklung erforderliche Erfahrungen durch den Gebrauch elektronischer Medien verhindert.
 
Wer nämlich schon als Kind viel in Facebook unterwegs ist, der ist entsprechend seltener in der Realität sozial engagiert. Man bedenke:
 
Bei den [in vorher diskutierten Studien beobachteten] Kindern betrug die mit direkten (face to face) sozialen Kontakten verbrachte Zeit etwa 2 Stunden, wohingegen sie etwa 7 Stunden online waren. Jene jungen Mädchen gewöhnten sich hierdurch echte soziale Kontakte eher ab — und leiden darunter. Abigail Baird, eine Neurowissenschaftlerin aus New York, bringt es auf den Punkt, indem sie feststellt: » Wenn es darum geht, zu lernen, wie man mit Menschen umgeht, gibt es keinen Ersatz für den Umgang mit Menschen. «
 
Wie Studien zeigen, gilt: Die intensive Nutzung sozialer Online-Netze vermindert nicht nur die Zahl realer Freundschaften, sondern auch soziale Kompetenz, da die hierfür zuständigen Gehirnareale schrumpfen. Mehr Stress und zunehmender Verlust der Selbstkontrolle sind die Folgen. Eine soziale Abwärtsspirale setzt ein, die einem erfüllten Leben in der Gemeinschaft im Wege steht.
 
    Note: Da sich entsprechende Experimente mit Menschen aus ethischen Gründen verbieten, hat man den Zusammenhang zwischen Gehirngröße und sozialer Einbindung in Gemeinschaften an Rhesusaffen untersucht mittels genauer anatomischer Gehirnbilder bei 23 Tieren, die zuvor für mehr als ein Jahr [nur 1 Jahr (!)] in sozialen Gruppen unterschiedlicher Größe gelebt hatten.
     
    Um ihre Hypothese zu prüfen, dass das bessere soziale Denken letzlich zu einem erfolgreichen Sozialleben führt — und zu entsprechendem Aufstieg in der sozialen Rangordnung der Gruppe — hat man bei insgesamt 11 männlichen Tieren den Zusammenhang zwischen Gehirngröße und sozialer Stellung in der Gruppe untersucht. Hierbei zeigte sich in einem bereich des präfrontalen Cortex eine klar erkennbare Größenzunahme mit zunehmender sozialer Dominanz: Mit jedem Prozentpunkt in der Znahme sozialer Dominanz nahm in diesem bereich die Dichte der grauen Substanz um 0,31 Prozentpunkte zu.
     
    Man hat zusätzlich untersucht, wie gut bei den Tieren die für das Sozialverhalten zuständigen Teile des Gehirns mit anderen gehirnbereichen verknüpft sind (sog. funktionelle Konnektivität). Hierbei zeigte sich eine funktionale Kopplung mit einem bereich im Frontalgehirn. Die Intensität dieser Kopplung hing mit der Größe des sozialen Netzwerks zusammen.
     
    Kombiniert mit Ergebnissen aus Studien des menschlichen Sozialverhaltens ergibt sich als Schlussfolgerung, dass die intensive Nutzung digitaler sozialer Medien wie etwa Facebook, WhatsApp, Twitter — die ja zwangsläufig mit weniger face-to-face-Kontakten einhergeht —, zu einer Verminderung des Wachstums der Größe sozialer Gehirnbereiche bei Kindern — und damit zu geringerer sozialer Kompetenz führen muss.

Spitzer fasst zusammen:
 
 
Soziale Online-Netzwerke befriedigen unser grundsätzliches Bedürfnis nach Kontakt zu Mitmenschen.
 
Wer jedoch glaubt, dass diese neue Möglichkeit, Kontakte aufzubauen und zu pflegen, nur Gutes bewirke, der irrt, denn:
     
  • Die Anonymität im Internet bewirkt, dass wir uns weniger kontrollieren und weniger um adequates Sozialverhalten bemüht sein müssen. Wer seine sozialen Kompetenzen bereits auf dem herkömmlichen Weg (face to face) erworben hat, wird durch die Netzwerke keinen Schaden nehmen. Wer hingegen — wie Kinder und Jugendliche — noch kaum Gelegenheit hatte, adequates soziales Verhalten zu entwickeln, wer also zu früh nur im Netz lebt, der hat gute Chancen, dass sein Verhalten sehr zu wünschen übrig lassen wird.
     
  • Wie wir gesehen haben, deuten aktuelle Studien darauf hin, dass sich bei zu viel Präsenz nur im Netz, die für Sozialverhalten zuständigen Teile des Gehirns nicht normal entwickeln werden. Die Folgen sind bisher nur schwer absehbar, sollten uns jedoch zu denken geben.
     
  • Eine dieser Folgen scheint zu sein: Junge Menschen wissen immer weniger, wo es langgeht, was sie leisten können, und was sie wollen. Je intensiver ihre Online-Präsenz, desto marginaler ihre Präsenz im realen Leben — in dem Leben also, das dann wirklich zählt.
     
  • Das Internet ist voller scheiternder Sozialkontakte, die vom Vorgeben, dass man ein anderer sei, über Schummeln, Betrügen bis hin zu grober Kriminalität reichen. Es word gelogen, gemobbt, abgezoggt, aggressiv Stimmung gemacht, gehetzt und diffamiert, dass sich die Balken biegen! Muss es uns dann noch wundern, dass soziale Netzwerke bei so manchem zu jungen Nutzer dann zu Einsamkeit und Depression führen?
     
  • Mangelnde Selbstregulation, Einsamkeit und Depression sind in der modernen Gesellschaft die wichtigsten Stressoren. Sie bewirken das Absterben von Nervenzellen und begünstigen langfristig die Entwicklung einer Demenz. Bei Kindern kann der Austausch von face-to-face-Kontakten durch Kontakte mit Personen, die nur übers Netz ansprechbar sind, die Gehirnentwicklung bremsen.
     
  • Langfristig gesehen besteht die Gefahr, dass Facebook & Co zur Schrumpfung unseres sozialen gesamten Gehirns führen. So gesehen sollte man beunruhigt darüber sein, dass mittlerweile schon jeder 7-te Mensch intensiv Facebook nutzt.

 


 
Quelle: Manfred Spitzer: Digitale Demenz — Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (2012), Kap. 5, S. 109-128

 
 
Interessant ist, dass den Gründern von Facebook — insbesondere Mark Zuckerberg, der neben Informatik auch Psychologie studiert hat — durchaus klar war, dass sie mit ihrem Produkt die Schwäche der menschlichen Psyche ausnutzen. Lies mehr dazu in der Meldung Spätes Bekenntnis von Ex-Investor Sean Parker: » Facebook beutet menschliche Schwächen aus «.
 
 
 
Hier noch andere Beispiele, die belegen, das Spitzers Aussagen über die Qualität der Gesellschaft im Netz nicht übertrieben sind:
 
 
Zwei im Jahr 2011 von der Techniker Krankenkasse in Auftrag gegeben repräsentative Umfragen an jeweils 1000 deutschsprachigen Jugenlichen zwischen 14 und 20 Jahren in Nordrhein-Westfalen bzw. dem gesamten Bundesgebiet ergaben Folgendes:
     
  • In Deuschland waren 32 Prozent der Befragten (in NRW 36 sogar Prozent) schon einmal Opfer einer Cyber-Mobbing-Attacke.
     
  • Jeder 5-te Schüler wurde im Internet oder per Handy direkt bedroht oder beleidigt.
     
  • Jeder 6-te litt unter Verleumdungen
     
  • und bei jedem 10-ten kam es zu einem Missbrauch seiner Internet-Identität.
     
  • Gut jeder 5-te Befragte konnte sich vorstellen, selbst Täter zu werden
     
  • und jeder 12-te war schon Täter.

 
Wie Spitzer schreibt, kann man sich angesichts solcher Tatsachen des Eindrucks nicht erwehren, dass neben der Anonymität im Netz auch die soziale Inkompetenz der jungen Nutzer hierfür verantwortlich ist.
 
So wurde etwa ein Mädchen monatelang von 4 Mitschülerinnen belästigt, droht dann mit Vergeltung ("Ich schlag euch kaputt") und wird — nachdem die Schulleitung hierüber informiert worden war — in der folgenden Nacht zur Abwendung eines befürchteten Amoklaufs in eine psychiatrische Klinik gebracht.

 
Quelle: Porsch und Pieschl: Cybermobbing und seine Folgen für Kinder und Jugendliche. Soziale Psychiatrie 01/2012, S. 34-37.


 


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