welt-verstehen/Religion, stw1825R

Unsere Welt zu verstehen:  Religion



 Beitrag 0-274
 
 

 
Niels Bohr über

objektiv, subjektiv und Religion
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Bohr warnte davor, der Wissenschaft absolute Objektivität zu bescheinigen oder — umgekehrt — religiöse Darstellungen als Märchen abzutun:

 


Niels Bohr ( 1927 in einem Gepräch mit Heisenberg nach dessen Erinnerung ):
 
Man muss sich vor allem darüber klar sein, dass in der Religion die Sprache in einer ganz anderen Weise gebraucht wird als in der Wissenschaft. Die Sprache der Religion ist mit der Sprache der Dichtung näher verwandt als mit der Sprache der Wissenschaft.
 
Man ist zwar zunächst geneigt zu denken, in der Wissenschaft handle es sich um Informationen über objektive Sachverhalte, in der Dichtung um das Erwecken subjektiver Gefühle. In der Religion ist objektive Wahrheit gemeint, also sollte sie den Wahrheitskriterien der Wissenschaft unterworfen sein. Aber mir scheint die ganze Einteilung in die objektive und die subjektive Seite der Welt hier viel zu gewaltsam.
 
Wenn in den Religionen aller Zeiten in Bildern, Gleichnissen und Paradoxien gesprochen wird, so kann das kaum etwas anderes bedeuten, als dass es eben keine anderen Möglichkeiten gibt, die Wirklichkeit, die damit gemeint ist, zu ergreifen.
 
Aber das heißt nicht, dass sie keine echte Wirklichkeit sei.
 
Mit einer Zerlegung dieser Wirklichkeit in eine objektive und eine subjektive Seite wird man nicht weit kommen.
 
Daher empfinde ich es als eine Befreiung unseres Denkens, dass wir aus der Entwicklung der Physik zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelernt haben, wie problematisch die Begriffe » objektiv « und » subjektiv « sind.
 
Das hat ja schon mit der Relativitätstheorie angefangen: Früher galt die Aussage, dass zwei Ereignisse gleichzeitig seien, als objektive Feststellung. Heute aber wissen wir, dass zwei Ereignisse, die in den Augen eines Beobachters gleichzeitig stattfinden, für zu ihm bewegte Beobachter keineswegs gleichzeitig stattfinden müssen.
 
Und doch ist die relativistische Beschreibung insofern objektiv, als jeder Beobachter durch Umrechnung ermitteln kann, was ein anderer Beobachter wahrnehmen wird bzw. wahrgenommen hat.
 
Immerhin, vom Ideal einer objektiven Beschreibung im Sinne der klassischen Physik, ist das ja nun schon ein Stück weit entfernt.
 
 
Die objektive Welt der Naturwissenschaft vor 1900 war — wie wir jetzt wissen — ein idealer Grenzbegriff, aber nicht Wirklichkeit.
 
Es wird zwar auch in Zukunft bei jeder Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit notwendig sein, die objektive und die subjektive Sicht zu unterscheiden, d.h. einen Schnitt zwischen beiden Seiten zu machen. Aber die Lage dieses Schnittes kann von der Betrachtungsweise abhängen und kann bis zu einem gewissen Grad willkürlich gewählt werden.
 
Daher scheint es mir auch durchaus begreiflich, dass über den Inhalt von Religion nicht in einer objektivierenden Sprache gesprochen werden kann. Die Tatsache, dass verschiedene Religionen solchen Inhalt in unterschiedlichen geistigen Formen zu gestalten versuchen, bedeutet keinen Einwand gegen den wirklichen Kern der Religion.
 
Es sind eher komplementäre Betrachtungsweisen, die — wenn wörtlich genommen — einander ausschließen, die aber doch erst in ihrer Gesamtheit einen Eindruck vom Reichtum vermitteln, der von der Beziehung der Menschen zu einem größeren Zusammenhang ausgeht.

 


 
Quelle: Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze (1969), S. 122-124.

 
 
Note: Bohr hat — wie Einstein auch — an keinen persönlichen Gott geglaubt. Umso erstaunlicher ist, dass er — im Gegensatz zu Atheisten — religiöse Aussagen nicht grundsätzlich als sinnlos verwarf. Er glaubte an einen umfassenden Sinnzusammenhang, der sich in solchen Aussagen äußern könne.
 
Konkret hat er das (1927, Heisenberg gegenüber) ausgedrückt wie folgt:
 
    "Von jeder bewusst vollzogenen Entscheidung geht für den Einzelnen eine Kraft aus, die ihn in seinem Handeln leitet, ihm über Unsicherheiten hinweghilft und ihm, wenn er leiden muss, den Trost spendet, den das Geborgensein in dem großen Zusammenhang gewähren kann. So trägt die Religion zur Harmonisierung des Lebens in der Gemeinschaft bei, und es gehört zu ihren wichtigsten Aufgaben, in ihrer Sprache der Bilder und Gleichnisse an den großen Zusammenhang zu erinnern." ( S. 117)
     
    "Auch dieser Sinnzusammenhang gehört zur Wirklichkeit, ebenso wie die naturwissenschaftliche Bedingtheit, und es wäre wohl eine viel zu grobe Vereinfachung, wenn man ihn ausschließlich der subjektiven Seite der Wirklichkeit zurechnen wollte."
    (S. 118)


 


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