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Unsere Welt zu verstehen:  Dynamische Systeme



 Beitrag 0-259
 
 

 
Dynamische Systeme

und ihr nur wenig berechenbares Verhalten
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Die zeitliche Dynamik komplexer — aus vielen Teilchen bestehender — Systeme wird durch Differential- und/oder Differenzengleichungen beschrieben, welche Potenzen, trigonometrische Funktionen und ähnliche Ausdrücke enthalten.
 
Ihre deswegen nicht-lineare Zeitdynamik kann zu neuen Ordnungsstrukturen ebenso wie zu Chaos führen.
 
Nicht-lineare Systeme können konservativ oder dissipativ sein.
     
  • Dissipativ nennt man das System, wenn es Energie oder menschliche Arbeit verbraucht und Wärme an seine Umgebung abgibt.
     
    Jedes Lebewesen ist Beispiel für ein dissipatives System, da es ständig Material und Energie mit seiner Umwelt austauscht und sich so nach Form und Struktur ändern wird.
     
  • Konservativ nennt man das System, wenn es in sich abgeschlossen (von seiner Umgebung getrennt) ist.
     
    Sämtliche idealisierten Systeme der klassischen Mechanik — in denen man Reibungsverluste ignoriert — sind konservative Systeme. Leibniz, Newton und Einstein gingen davon aus, dass ihr Verhalten im Prinzip voll deterministisch und mit beliebiger Genauigkeit berechenbar sei.
     
    Heute wissen wir, dass dem nicht so ist. Der Grund hierfür:
     
    In jedem System, in dem mehr als zwei Körper aufeinander einwirken, kann die Wirkung beliebig stark von den Anfangsbedingungen abhängig sein.
     
    Schon Ende des 19. Jahrhunderts war das Poincaré aufgefallen: Er bewies, dass das 3-Körper-Problem der Astronomie nicht integrierbar ist und zu völlig unvorhersehbaren, chaotischen Bahnen jener Körper führen kann.
     
    Doch erst die Rechenkapazitäten moderner Großcomputer haben die Grenzen prinzipieller Berechnbarkeit des Verhaltens von Mehrkörpersystemem in aller Deutlichkeit gezeigt. Die Unvorhersagbarkeit des Wetters auf längere Zeitdistanz ist gutes Beispiel hierfür: Schon ein winzig kleiner, auf der Wetterkarte unbeachtet gebliebener Wirbel kann chaotische Veränderungen der Großwetterlage auslösen (sog. Schmetterlingseffekt). Damit ist bewiesen:
     
    Die prinzipielle Eindeutigkeit der Lösungen mathematischer Gleichungen garantiert keine beliebig genaue Berechenbarkeit auf länger Zeitdistanz hinweg.
     
    Mit anderen Worten: Man weiß nie, wie kurz der Abstand hin zum nächsten Bifurkationspunkt noch ist, und man weiß auch nicht, ob sein Erreichen Emergenz oder stark chaotisches Verhalten zur Folge haben wird.

 
 
Was sind Bifurkationspunkte eines dynamischen Systems?

 
Die Dynamik eines dynamischen Systems kennt nur 2 Trends:
     
  • Übergang in eine Gleichgewichtslage (womit es zu Emergenz kommt) oder
     
  • Übergang zu chaotischem Verhalten.

Was aber passiert, wenn wir das System in Abhängigkeit eines Parameters betrachten?
     
  • Durch Variation des Parameters können Fixpunkte entstehen oder zerstört werden bzw. an Stabilität gewinnen oder verlieren.
     
    Solche Änderungen in der Dynamik werden als Bifurkationen bezeichnet.
     
    Die Parameterwerte unter denen es zu einer Bifurkation kommt, nennt man Bifurkationspunkte.

 
 
Wie es zu Emergenz kommt

 
Nichtlineare Entwicklung der Zustände dynamischer Systeme muss nicht immer zu Chaos, sondern kann auch zu Selbstorganisation neuer Formen und Strukturen führen.
 
Sie entstehen dadurch, dass gewisse äußere Kontrollparameter — Temperatur, Energiezufuhr — so lange verändert werden, bis der alte Zustand instabil wird und in einen neuen umschlägt. Solcher Phasenübergang lässt sich als Symmetriebrechung von Gleichgewichtszuständen verstehen. Bei kritischen Werten entstehen spontan makroskopische Ordnungsstrukturen, die die sich durch synergetische, kollektive Kooperation mikroskopischer Systemteilechen ergeben.
 
Die Entstehung neuer Ordnung ist also keineswegs unwahrscheinlich und rein zufällig, sondern findet unter bestimmten Nebenbedingungen gesetzmäßig statt.
     
  • Beispiel 1: Die Strömungsmuster in einem Fluss direkt hinter einem Hindernis (z.B. einem Brückenpfeiler):
     
    Wie sie aussehen ist abhängig von der Strömungsgeschwindigkeit: Zunächst kann das Stömungsbild hinter dem Hindernis homogen sein. Erst wenn die Strömungsgeschwindigkeit zunimmt, kommt es zu Wirbelbildung. Es treten zunächst periodisch Bifurkationen auf, dann quasi-periodische Wirbelbildung, die schließlich in ein chaotisches Wirbelbild übergehen.
     
    Auf Mikroebene haben Wechselwirkungen der Wassermoleküle in Abhängigkeit von der Strömungsgeschwindigkeit zu den neuen makroskopischen Strömungsbildern geführt.
     
  • Beispiel 2: Der zu Laserlicht führende Phasenübergang:
     
    Es kommt spontan zur Koodinierung zunächst ungeordneter Photonen, sobald die äußere Energiezufuhr des Lasersystems einen bestimmten, recht hohen kritischen Wert erreicht hat.

Mehr dazu in: Klaus Sedlacek: Emergenz: Strukturen der Selbstorganisation in Natur und Technik, 2010, aus vielen Quellen Zusammenkopiertes, 192 Seiten.

 
 
Quelle: Klaus Mainzer: Zeit — von der Urzeit zur Computerzeit, Beck'sche Reihe (1995, 2011), S. 73-88.
 
Klaus Mainzer, Ordinarius für Wissenschaftstheorie an der Uni Augsburg, hat Mathematik, Physik und Philosophie studiert.


 


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Wie es zu Emergenz – spontan entstehender Ordnung – kommt


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